Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)
unterdessen argwöhnisch Jae im Auge, der über der Gruppe kreiste, bedrohlich kreischte und immer wieder auf die beiden Wachen herabstieß, dabei jedoch mit seinem spitzen Schnabel und den langen Klauen geschickt außerhalb der Reichweite ihrer Schwerter blieb.
Um ihrer Aktion Nachdruck zu verleihen, ließ Kiara ihr Pferd noch einmal aufsteigen, sodass die Hufe mit ihren schweren Eisen, die den Schädel eines Mannes mit Leichtigkeit zerschmettern konnten, nur Zentimeter vom Kopf des Hauptmanns entfernt durch die Luft wirbelten. Die Flüchtlinge brüllten wütend und drängten vorwärts und hoben Stäbe und Hacken drohend wie zum Schlag.
»Hol dich die Hure!«, rief der Hauptmann und spuckte aus, dann hob er hastig sein Schwert auf und zog sich mit seinem Kameraden zurück. »Dafür wirst du bezahlen, Miststück, das verspreche ich dir!«
Wie als Antwort darauf visierte Jae im Sturzflug den Kopf des Hauptmanns an. Mit einem Aufschrei drehte sich der Soldat um und ergriff die Flucht, gefolgt von seinem Kameraden. Jae nahm die Verfolgung auf und stieß immer wieder kreischend herab, bis die zwei Soldaten Kiaras Blicken fast entschwunden waren. Dann flatterte er zufrieden zu ihr zurück und nahm seinen Platz auf ihrer Schulter ein, wo er sich selbstzufrieden zu putzen begann.
Die Flüchtlinge drängten sich um Kiara und gratulierten und dankten ihr. Sie wurde sich plötzlich unangenehm der Tatsache bewusst, dass an ein unbemerktes Reisen nun nicht mehr zu denken war, seufzte und nahm die Dankesbezeigungen ergeben entgegen. Sie war jetzt nur noch darauf bedacht, die Grenze ohne weiteren Zwischenfall zu passieren und so schnell wie möglich ihren Weg fortzusetzen. Als sich die aufgeregte Gruppe wieder in Bewegung setzte, schlängelte sich ein Mann zu Kiara durch, in dem sie den Bauern wiedererkannte, den sie gerettet hatte.
»Ich bitte um Vergebung, Fräulein«, sagte er mit seiner zerrissenen Mütze in der Hand, »ich möchte Euch danken für das, was Ihr dorthinten getan habt. Wir hatten nichts mehr, was wir den beiden hätten geben können, aber ich hätte es nicht ertragen, Tessa zu verlieren«, erklärte er mit einem Nicken in Richtung des jungen Mädchens, das ihm mit einem Schritt Abstand gefolgt war und mit großen Augen Kiaras Pferd und Schwert betrachtete.
»Bist du eine Kriegerin?«, hauchte die Kleine anhimmelnd.
Trotz des Ernstes der Lage musste Kiara lächeln. »Nicht wirklich«, antwortete sie und ließ ihren Mantel wieder über die Schwertscheide fallen. »Da, wo ich herkomme, übt sich jeder als Kämpfer, sobald er ein Schwert halten kann, damit wir nie unter Narren wie diesen leiden müssen«, erklärte sie mit einer Geste in die Richtung, in der die Wachtposten verschwunden waren.
»Wir haben nichts von Wert«, ergriff der Bauer wieder das Wort, »aber mein Bruder wartet auf uns in dem Lager direkt auf der anderen Seite der Grenze in Fahnlehen. Ich sehe wohl, dass Ihr von hoher Geburt seid und ich kein Recht zu fragen habe, doch vielleicht möchtet Ihr eine Mahlzeit mit uns teilen, falls Ihr hungrig seid. Gut schlafen könntet Ihr, Ihr wäret sicher bei uns, bis Ihr wieder aufbrecht.« Er lächelte unsicher. »Auch ein Heiler für diesen Schnitt tät sich bestimmt finden lassen«, meinte er mit einem Blick auf Kiaras Schulter.
Kiara hatte die Wunde bis zu diesem Moment völlig vergessen gehabt, doch als sie jetzt den zerrissenen Stoff befühlte, fand sie ihn zu ihrem Verdruss blutgetränkt. Alles in allem keine schwere Verletzung, schätzte sie, als sie den Schnitt behutsam abtastete; sie hatte schon schlimmere in Übungskämpfen davongetragen. Dennoch würde der Breiumschlag eines Heilers das Brennen lindern und einer Entzündung vorbeugen.
Kiara lächelte dem nervösen Bauern und seiner vor Ehrfurcht erstarrten Tochter zu. »Es wäre mir eine Ehre, mit Euch zu essen«, sagte sie, und der Mann, der sein Glück kaum fassen konnte, strahlte. Schüchtern streckte das Mädchen die Hand nach Gespenst aus und schrak zurück, als der große Rappe ein dunkles Auge drehte und sie ansah, doch dann nahm sie all ihren Mut zusammen und streichelte das Pferd sanft. »Du warst vorhin sehr tapfer«, sagte Kiara ruhig zu dem Mädchen, das dankbar lächelte und den Blick abwandte.
»Danke«, antwortete sie leise.
»Nichts zu danken«, erwiderte Kiara und versuchte nicht daran zu denken, wie vielen anderen jungen Mädchen die Soldaten begegnen mochten, Mädchen, bei denen keine Beschützerin aus dem Nichts
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