Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)
das geklärt ist, werde ich mich ein wenig aufs Ohr hauen«, erklärte Vahanian und stand steifbeinig auf. »Weckt mich auf, wenn es Zeit für meine Wache ist.«
Tris musste feststellen, dass seine Träume alles andere als friedlich waren. Die gespensterhaften Fratzen aus dem Wald heulten rings um ihn, zehrten an seiner Lebenskraft und widersetzten sich seiner Kontrolle. Dann, inmitten ihres Totenklagens, hörte er auf einmal Kaits Stimme, weit weg und traurig. Tris, hilf mir! Wieder sah er ihr Gesicht, das gegen eine durchsichtige Barriere gepresst war, ihre angstvollen und verzweifelten Augen und die Hand, die sie nach ihm ausstreckte. Er stürzte auf sie zu, doch als seine Finger die ihren schon fast berührten, wich das Bild zurück; ihre Stimme wurde schwächer und schwächer, während gleichzeitig die Erinnerung an die Waldgeister wieder über ihn hereinbrach, nur um gleich darauf von Kaits Falken ersetzt zu werden, die wütend kreischten und aus allen Richtungen auf ihn zugeflogen kamen, die Krallen geöffnet und die spitzen Schnäbel hungrig nach Beute. Er wehrte sie ab, aber sie kamen immer wieder, entfachten mit ihren Flügeln einen Sturm um ihn herum und zerrten mit ihren Klauen an seinem Fleisch.
Tris wurde schaudernd wach und stellte fest, dass er kerzengerade dasaß und die Decken abgeschüttelt hatte. Stoßweise holte er Atem und schloss die Augen, aber die Träume waren fort.
Milord, auf ein Wort, wenn es Euch genehm ist , sagte eine Stimme, während eine plötzliche Kälte ihn umgab, und Tris brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass er die Worte nur in seinem Kopf gehört hatte. Er öffnete die Augen wieder und sah den Geist einer jungen Frau vor sich stehen. Sie sah aus, als sei sie höchstens zwanzig, ein schönes Mädchen mit langem, dunklem Haar und von schlanker Gestalt. Tris war sich nicht sicher, ob ihn die Traurigkeit in ihren Augen oder ihre Haltung extremer Ehrerbietigkeit mehr bekümmerte, und so erschöpft, wie er auch war, wurde er dennoch von Mitleid bewegt. Ein Blick in die Runde überzeugte ihn davon, dass er tatsächlich wach war, denn er sah Vahanian Wache stehen; der Söldner hatte jedoch die geisterhafte Besucherin nicht bemerkt.
Was bereitet dir Sorgen? , fragte er stumm.
Ihr seid ein Seelenrufer , sagte das Gespenst, und Tris nickte. Der Geist lächelte und klatschte in die Hände. Dann ist das der Tag, auf den ich gewartet habe! Bitte, Milord, hört Euch meine Geschichte an! Ich war mit einem jungen Mann aus dem Nachbardorf verlobt, aber mein Vater wollte uns nicht erlauben zu heiraten. Eines Nachts beschlossen wir wegzulaufen, also stahl ich die Mitgift und schlich mich fort, um mich hier an diesem Brunnen mit meinem Geliebten zu treffen. Das Gesicht der Erscheinung umwölkte sich, und unter der Traurigkeit in ihren Augen sah Tris Zorn. Als mein Geliebter kam, hatte er getrunken und wurde wütend, dass die Mitgift so gering war. Wir stritten uns, und er versetzte mir einen Schlag, der mich gegen den Brunnen taumeln ließ. Ich stürzte und schlug mit dem Kopf auf dem Rand auf, und als ich starb, konnte ich ihn noch lachen hören, während er die Mitgift aufraffte , erzählte der Geist kummervoll.
Ich kann dir Frieden gebieten und deine Seele befreien, sodass sie die Lady findet , bot Tris, den ihre Geschichte rührte, ihr an.
Ihr seid ein Seelenrufer. Holt mich zurück , verlangte das Mädchen, und ihre Augen leuchteten vor Hoffnung. Lasst mich meine Rache üben an dem, der mich getötet hat, und meinen Frieden mit meinem Vater machen.
Tris schüttelte den Kopf. Das kann ich nicht , erwiderte er. Es ist verboten, die Toten zu den Lebenden zurückzubringen.
Verboten von wem? , beharrte das Gespenst, und Tris erkannte auf einmal, dass das Leuchten in ihren Augen nicht Hoffnung, sondern Rachgier war. Ihr seid ein Seelenrufer. Ich kann Eure Macht spüren; sie ruft mich. Gebt mir, was mir zusteht!
Wieder schüttelte Tris den Kopf. Je länger der Geist sich in seiner Gegenwart aufhielt, desto unbehaglicher wurde ihm. Über der Erscheinung dieses Mädchens lag eine Dunkelheit, die ihn frösteln ließ.
Das kann doch sicher nicht zu viel verlangt sein von einem Magier wie Euch , bettelte das Gespenst. Es ist noch keine zwei Tage her, dass ich gestorben bin; seht, mein Leichnam liegt unter dem Schnee direkt hinter dem Brunnen. Mein Vater ist ein reicher Mann. Er wird es Euch gut lohnen, wenn Ihr ihm seine einzige Tochter zurückbringt. Sie blickte ihn flehentlich an. Erst
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