Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)
hielt inne. »Wir sind bei der dritten Stufe der Abwehren und der vierten Stufe des Wirkens.«
»Du bist ein kluger Junge«, antwortete die Stimme. »Nun schließe noch einmal die Augen. Es ist der Sommer, bevor du zu deiner Pflegefamilie gehst. Du bist vierzehn. Wie steht es jetzt um dein Studium der Magie?«
Die Stimme des Jungen war jetzt tiefer, nicht mehr die eines Kindes. »Ich bin unter den Vayash Moru gewandelt und kann Astralintrospektionen der fünften Stufe wirken. Ich habe Großmutter dabei geholfen, den Ausgang von Schlachten vorherzusehen, und ich habe Geister gerufen. Ich habe zwischen den Lebenden und den Toten vermittelt und das Hinübergehen für diejenigen ermöglicht, die auf der Suche nach der Lady sind. Großmutter ist besorgt.«
»Warum?«
»Weil ich zu meiner Pflegefamilie gehe und meine Ausbildung noch nicht beendet ist. Wir arbeiten vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung. Ich bin müde. Sie hat Mutter schon zweimal dazu gebracht, meine Abreise zu verschieben, und ohne den wahren Grund dafür zu enthüllen kann sie Vater nicht noch einmal beeinflussen. Sie sagt, ich darf meine Kräfte nicht zeigen, nicht einmal Mutter. Aber sie ist auch ängstlich darauf bedacht, mich wegzuschicken.«
»Warum?«
Der Junge zögerte. »Sie hat Angst um mich. Sie fürchtet, Jared wird mir etwas antun.«
»Tris!«, rief eine Stimme. »Kommt zurück! Atmet!«
Das Bild verschwand. Doch diesmal blieben die Erinnerungen an Bava K’aa und die Wirken.
Als er die Augen aufschlug, beobachteten Maire und Taru ihn mit Sorge. Maire brachte ihm eine Tasse heißen Tees, die er mit zitternden Händen entgegennahm.
»Wenn ich damals Magie zu wirken wusste«, fragte Tris mit einer Stimme, die zwar noch unsicher, aber wieder seine eigene war, »warum habe ich sie dann nicht gegen Jared eingesetzt? Lady und Hure, wenn ich Magie hätte benutzen können, warum hab ich es nicht gemacht?«
Taru überlegte kurz, während Tris um Fassung rang. »Ich glaube, Eure Großmutter wusste von Eurer Lage und tat, was sie konnte, um die ›glücklichen Zufälle‹, die Euch zu Hilfe kamen, zu arrangieren. Aber Bricen ließ sich nichts wegen Jared sagen. Um Euch zu beschützen, vergrub Eure Großmutter die Erinnerung an Eure Ausbildung tief in Euch. Sagt mir, an welche Einzelheiten aus der ganzen Zeit, die Ihr mit ihr verbracht habt, konntet Ihr Euch vor dem heutigen Tag erinnern?«
Tris dachte angestrengt nach. »Nur dass sie mich um sich haben wollte und ich froh war, bei ihr sein zu können.« Er runzelte die Stirn. »Ich weiß, dass mich das in Trab gehalten hat, aber erst jetzt wird mir klar, wie sehr.«
Maire nickte. »Ich vermute, schon bevor Jared Arontala nach Shekerishet brachte, kam er unter dessen Einfluss. Bava K’aa muss das gespürt haben. Sie muss gewusst haben, dass, wenn Jared – und Arontala – der Verdacht käme, dass Ihr magische Fähigkeiten besitzt, sie Euch töten würden. Und vielleicht wusste sie auch, dass ihr selbst nicht mehr viel Zeit blieb. Sie konnte Euch nicht mehr viel länger beschützen – zumindest nicht als lebende Magierin. Eure Ausbildung zu verheimlichen war ihre beste Chance, Euch darauf vorzubereiten, eines Tages Margolan zu beschützen.«
»Aber warum habe ich dann begonnen, meine Kräfte nach den Morden einzusetzen?«
»Manchmal wissen diejenigen mit magischem Talent nichts von ihrer Macht, bis sie von einer heftigen seelischen Erschütterung getroffen werden. Das kann zum Beispiel eine Angst sein, die so groß und intensiv ist, dass sie alle Kanäle öffnet und wegschwemmt, was den Fluss der Macht bis dahin blockiert hatte«, sagte Taru nachdenklich. »Ich weiß nicht, welchen Auslöser Eure Großmutter vorgesehen hatte. Vielleicht wäre Eure Macht unter normalen Umständen in einem bestimmten Alter oder an einem bestimmten Ort zutage getreten. Aber der Kummer und die Furcht und der Zorn, die Ihr in der Mordnacht gespürt habt, waren so stark, dass Ihr instinktiv Eure wichtigste natürliche Begabung eingesetzt habt, um am Leben zu bleiben – Eure Macht als Magier.«
Sie lehnte sich zurück und sah Tris an. »Woran erinnert Ihr Euch jetzt?«
Tris starrte gedankenverloren auf den Tee in seiner Tasse. »An vieles«, sagte er schließlich leise. »Es ist, als hätte jemand eine Tür zu einem Zimmer in meinem Verstand geöffnet, von dessen Existenz ich vorher nichts gewusst habe.«
Taru nickte. »Eure Großmutter hat Euch hart herangenommen. Nach Eurer Aussage habt Ihr die Stufe
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