Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)
Dunkelheit an. Eine graue Robe mit einer schweren Kapuze umhüllte seinen Körper und verbarg sein Gesicht. Seine Hände waren mit schwarzer Farbe bemalt; eine Haarsträhne, die sich unter seiner Kapuze hervorwagte, war tiefbraun und nicht vom üblichen auffallenden Blond seines schulterlangen Zopfes.
»Entspann dich!«, ermahnte Soterius ihn. »Carroway hat ein paar Verkleidungen improvisiert. Deine war das Beste, was ging, unter den gegebenen Umständen«, entschuldigte er sich. Tris erkannte, dass er auf eine Bahre gebettet war und eine der zahlreichen lebensgroßen Puppen darstellte, die teure Verstorbene symbolisierten und in der Zeremonie zum Fluss getragen wurden, wo eine stete Prozession von Figuren, Andenken und Blumen ihren Weg durch die Fluten zum Meer nehmen würde. In den Opfergaben steckten Bitten um Gefälligkeiten an die Göttin oder an geliebte Dahingegangene, Fürbitten oder Gebete um die Wiedergutmachung eines Unrechts oder tief empfundene Ausdrücke der Sehnsucht nach denjenigen, die bei der Lady ruhten.
Doch trotz seiner ernsteren Seite war Spuken in der Stadt auch eine Nacht des ausgelassenen Feierns, und dieses Jahr schien keine Ausnahme zu machen, ungeachtet dessen, was sich im Schloss ereignete. Fahnen hingen aus jedem Fenster und flatterten im kalten Nachtwind. Händlerkarren drängten sich in den Straßen, und kostümierte Feiernde bahnten sich mit den Ellbogen ihren Weg durch die verstopften Gassen. Die Stadt roch nach Würsten und Bier, nach Kerzen und Weihrauch. Irgendwo im Bereich der Stadtmauern läuteten Glocken, und überall waren Musikanten zu hören.
Mit nur etwas Glück, dachte Tris, konnten sie mit der Menge verschmelzen und sich für den Großteil des Weges zum Kaufmannstor unter die Prozessionsteilnehmer mischen. Die Hochstimmung der Leute verlieh Tris die Gewissheit, dass die Kunde vom Verrat im Schloss die Stadt noch nicht erreicht hatte. Und vielleicht würde sie das auch nie.
Jared war gerissen, und das Gleiche galt für seinen Magier. Niemand außer Tris, Soterius und ein paar Wachen war Zeuge des tatsächlichen Angriffs gewesen. Jared konnte ein Märchen von Attentätern erfinden und den toten Gardisten die Schuld in die Schuhe schieben. Arontala konnte mit seiner Zauberei wahrscheinlich Beweise erschaffen oder die Blicke derjenigen trüben, die andernfalls das Spiel durchschaut hätten.
Bricen war ein allgemein beliebter König, denn er beschlagnahmte die Ernte nicht, und seine Truppen plünderten weder die örtlichen Bauernhöfe noch vergewaltigten sie die Töchter der Bauern. Von der königlichen Familie hatte Sarae das Wohlwollen des Adels gewonnen, denn ihre sanfte Art stand in starkem Gegensatz zu Eldras Launen. Dafür überhäufte der Hof Tris und Kait mit weit mehr Interesse und Gunst als Jared, dessen brütende Art und finstere Gewohnheiten den Klatschmäulern reichlich Stoff lieferte. Doch hatte Bava K’aa Tris einst gesagt, dass für die Bürgerlichen ein König so gut wie der nächste sei, solange sich die Steuern nicht änderten. Möglicherweise würde sich nicht einmal jemand für die Umstände von Bricens Tod interessieren, wenngleich Tris sich sicher war, dass Jareds Regierung nicht so milde wie die seines Vaters sein würde.
Es war unmöglich, den eigentlichen Umzug vom Gewimmel der Menschen zu unterscheiden. Die Menge drängte sich durch die Hauptstraße der Stadt und strömte auf die äußeren Tore und die Begräbnisstätten dahinter zu. In ihrer Mitte trugen große Tragen Statuen der vier Lichtaspekte der Göttin. Trommler trommelten, Flötenspieler spielten und das Schellen der Tamburine erklang über dem Lärm der Feiernden. Die Statuen auf ihren Tragen tanzten über der Menge wie Korken auf den Wellen und wurden vom Gedränge der Masse oben gehalten.
Die Kostüme konnten es mit allen aufnehmen, die Tris jemals gesehen hatte. Da waren ›Edelmänner‹ und grellbunte ›Damen‹, Flusskaufleute und legendäre Helden, dazu nicht wenige Feiernde, die als eine der Erscheinungsformen der Lady verkleidet waren: Kinder ebenso wie erwachsene Frauen in den fließenden weißen Gewändern des Kindes; Festbesucher beider Geschlechter in der verführerischen Aufmachung der Geliebten; andere, Männer und Frauen, im matronenhaften Aufzug der wohltätigen Mutter; und Gespenster mit dunklen Kapuzen in den scharlachroten Roben Chennes, der Rachegöttin. Aber Spuken war auch eine Nacht für die dunklen Aspekte, und in dieser Nacht führte die Dunkelheit
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