Im Bann des Omphalos
zu einem dicht bewaldeten Tal, dann hoch zu einem Kamm am anderen Ende. »Was liegt dahinter?« wandte er sich an den Führer.
»Das warme Land. Ein guter Ort, das Lager aufzuschlagen.«
»Können wir es denn noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen?«
Der Führer nickte. Er war ein fast zwergenhaft gewachsener Bursche mit unsteten Augen und weit geblähten Nasenflügeln in einem flachen Gesicht. Carodyne hatte von Bulan Ukand den Auftrag erhalten, mit ihm zu reiten, ihn zu beschützen, wenn er in Gefahr kam, und ihn daran zu hindern zu fliehen, falls er es versuchte.
Als sie den Hang hinunterritten, sagte Mark beiläufig: »Das Leben ist schwer. Wenn ein Mann die Chance hätte, schnell reich zu werden, wäre er ein Narr, sie nicht zu nutzen. Meinst du nicht auch?«
Ein seltsames Grunzen war die Antwort.
»Natürlich brauchte er Hilfe«, fuhr Carodyne fort. »Allein würde er es nicht schaffen. Selbst zu zweit wäre es schwierig. Aber ein guter Freund wäre eine große Hilfe.«
»Freunde zu haben, ist immer gut«, brummte der Führer. »Ich habe dich beobachtet. Du bist nicht wie die anderen. Du hältst dich abseits, genau wie ich. Vielleicht sollten wir Partner werden.«
»Ja«, antwortete Carodyne. »Oder Brüder.«
»Hast du Brüder?«
»Nein.«
»Ich schon, gleich drei. Einer versuchte mich umzubringen, und die beiden anderen stahlen mir mein Pferd, mein Feld und meine Frau. Zum Teufel mit Brüdern. Ein Partner ist besser, ihn kann man sich aussuchen, einen Bruder nicht.«
Sie ritten durch die Bäume im Tal und den Hang empor. Carodyne hielt am Kamm an, um seinem Pferd eine Chance zu geben sich zu erholen. Vor ihm fiel der Boden zu einer weiten Ebene ab, die mit Dunst bedeckt war.
»Das warme Land«, sagte der Führer. »Etwa eine Meile links von hier führt ein Weg hinunter. Reite du schon voraus, ich kehre zur Karawane zurück.«
Carodyne bezweifelte, daß der Bursche dem Kaufmann Meldung erstatten würde. Er hatte an der Habgier des Führers gerüttelt und sein bedingtes Vertrauen gewonnen, etwas, worauf er seit Tagen vorsichtig hingearbeitet hatte. Wenn der Mann auch nur daran gedacht hatte, den Kaufmann zu berauben, würde er bestimmt keinen potentiellen Verbündeten verraten.
In dieser Nacht ruhten sie auf weichem Gras unter fedrigen Bäumen. Fleischstreifen hingen von entrindeten Ruten über glühenden Feuern. Eine Flasche würziger Wein machte die Runde. Zwei Männer balgten sich freundschaftlich herum. Ein Wächter schärfte sein Schwert. Ein anderer brannte mit der Dolchspitze, die er ins Feuer gehalten hatte, ein Muster in seinen Schild. Zwei weitere benutzten einen Helm als Würfelbecher. Eine völlig normale Szene in einem Lager dieser Art.
Mark holte sich eine Rute und biß in das heiße Fleisch. Interessiert sah er dem Wächter zu, der eifrig an seinem metallbeschlagenen Lederschild arbeitete und sich dabei nach einer Skizze auf Pergament richtete. Als er die Dolchspitze wieder ins Feuer hielt, begegnete sein Blick Carodynes.
»Eine Rune von großer Macht«, erklärte er ihm. »Ich kaufte sie von einem Magier in der Herberge. Sie schützt gegen einen Angriff von Vögeln, Geistern, Vampiren und bösem Zauber. Und jetzt ist die richtige Zeit, sie anzubringen: kein Mond, keine Frauen und ein von Menschen noch unverdorbener Ort. Wenn du willst, kannst du sie dir abzeichnen, ich verlange nicht viel dafür.«
»Nein, danke«, erwiderte Mark. »Ich habe meinen eigenen Schutz.«
»Kann man davon denn genug haben?« Der Wächter hob den Dolch, probierte ihn aus und hielt ihn wieder in die Flammen. »Wer kann schon wissen, welche Gefahren in der Dunkelheit lauern? Ghuls, Dämonen, Geister, die nach warmem Blut dürsten, Räuber, die sich Zauberwaffen bedienen. Auf einer Reise wie dieser braucht ein Mann mehr als sein Schwert.«
»Wer sagt das?« Dramaut stapfte aus den Schatten. Er hatte seinen Umhang ausgezogen und seinen Helm abgenommen. Sein kurzgestutztes rotes Haar erinnerte an die Stacheln eines Igels. Muskeln spielten unter dem Kettenhemd. »Zauberei!« sagte er verächtlich. »Wenn man sich auf ihren Schutz verläßt, fällt man beim ersten Handgemenge. Sie ist etwas für Weiber und Dummköpfe. Hexen, die Zaubersprüche murmeln, und Magier, die kleine Kinder erschrecken. Der beste Zauber ist eine scharfe Klinge, der beste Schutz Leder und Stahl.«
»Da bin ich gar nicht so sicher«, entgegnete der Wächter. »Ich habe gesehen, wie ein Mann starb, als ein Zauberer in Zelmaya mit
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