Im Bann des Omphalos
auf!«
Der Mann stöhnte und bewegte die Lippen. In einem Behälter in der Nähe befand sich Wasser. Mark goß es dem Burschen ins leere Gesicht, dann bückte er sich und bohrte ihm die Finger in das weiche Fleisch. Der Mann bäumte sich und schrie wie ein verwundetes Pferd.
»Marsch! Steh auf! Weck die anderen!«
Carodyne rannte zum nächsten Schlafenden, weckte ihn, rüttelte den dritten wach, griff nach zwei Schwertern und schlug sie aneinander, daß ihr Klirren durch das ganze Lager hallte. Waffenklirren, das wußte er, war das wirkungsvollste Geräusch, Krieger auf die Beine zu bekommen.
Dramauts Stiergebrüll erschallte über das Klirren. Der Hauptmann kam schwankend und mit roten Augen herbei.
»Zu den Waffen!« schrie er und preßte die Hände an die Schläfen. »Mein Kopf! Was ist eigentlich los? Werden wir angegriffen?«
»Seht zu, daß Ihr die Männer auf die Beine kriegt«, sagte Carodyne und warf die Schwerter von sich. »Laßt sie hin und her marschieren, bis sie ganz bei sich sind. Und dann müssen wir zusehen, daß wir von hier verschwinden.«
»Die Flucht ergreifen?« rief Dramaut empört und riß sein Schwert aus der Scheide. »Kampflos? Wo ist der Feind?«
»Hier, überall. Er ist nichts, was wir töten könnten.«
»Gespenster? Sind wir Opfer von Zauberei?« Mit funkelnden Augen blickte er sich um. Die Männer waren nun fast alle auf, einige halfen anderen, aber alle torkelten benommen. Einer der Wächter übergab sich würgend am Feuer. Ein Diener stürzte, als er zu den Pferden rennen wollte, und kroch dann auf allen vieren weiter. Mark rannte auf ihn zu, half ihm auf die Beine und lehnte ihn gegen einen Baumstamm. »Bleib hier«, befahl er. »Solltest du wieder fallen, steh sofort auf. Wenn du am Boden bleibst, wirst du sterben.«
Carodyne kehrte zum Hauptmann zurück, der mit dem Schwert in der Hand Befehle erteilte. »Zündet weitere Feuer an! He, beweg dich weiter! Hoch, verdammt. Ich schneide dem ersten, der fällt, die Füße ab. Marsch, hin und her mit euch, bewegt euch!« Er wandte sich an Mark. »Was ist es eigentlich? Magie?«
»Gas! Es gibt keine Insekten hier, doch an einem so warmen und fruchtbaren Ort wie diesem müßte es sie geben. Dadurch kam ich darauf. Der tödliche Dunst kommt aus der Erde. Weil kein Wind wehte, stieg er sehr hoch, aber am Boden ist er dicht.«
»Zauberer!« Dramaut stieß sein Schwert in die Hülle zurück. »Wie gelang es dir, diesem Teufelszeug zu entgehen?«
»Durch Glück, vermutlich. Laßt das Lager abbrechen, ich warne inzwischen den Kaufmann.«
Bulan Ukand lag auf einer hohen Liegestätte aus warmen Pelzen, den Kopf hatte er erhoben, um besser atmen zu können – eine Gewohnheit, die ihm vermutlich das Leben gerettet hatte. Der Lärm im Lager hatte ihn geweckt. »Könnte der Führer es gewußt haben?« fragte er Mark.
»Vermutlich. Es kann auch ein Versehen gewesen sein. Er konnte nicht wissen, daß es heute nacht völlig windstill sein würde. Wollt Ihr seinen Tod?«
»Tot nutzt er uns nichts«, erwiderte der Kaufmann. »Aber behaltet ihn gut im Auge. Hat er irgendwie angedeutet, daß er mich ausrauben möchte?«
»Das nicht, aber ich bin sicher, daß er es vorhat. Ich versuchte ihm näherzukommen, doch mit wenig Erfolg. Er traut mir nicht, und ich kann es ihm nicht verdenken. Wenn wir ohne ihn zurechtkämen, wären wir sicherer.«
»Dieses Risiko läßt sich nicht vermeiden.« Bulan griff nach einem Krug mit Wasser und benetzte die Lippen. »Sagte der Hauptmann Euch, daß wir in Eile sind?«
»Ja. Er hält es für unklug.«
»Und Ihr?«
Carodyne zuckte die Schultern. »Die Männer und Pferde werden es schon durchhalten. Aber wie sieht es mit Euch aus? Ich sehe wenig Sinn darin, auf der Reise zu sterben, die Euch zu längerem Leben führen soll.«
»Stimmt, aber ich habe guten Grund für meine Eile. Ich muß rechtzeitig zu einem bestimmten Treffen – doch mehr darüber später. Ich möchte Euch danken, wenige hätten die Gefahr erkannt. Wir müssen sofort aufbrechen, sagtet Ihr? So laßt uns nicht säumen.«
8.
Sie waren mehrere Tage durch eine leicht hügelige Tundra gekommen, hatten einen breiten Fluß überquert und näherten sich nun einem an beiden Seiten von hohen Bergen umgebenen Tal.
»Es gefällt mir gar nicht«, sagte Dramaut zu Carodyne, der wie üblich an der Spitze mit dem Führer ritt. Der Führer war beim Näherkommen des Hauptmanns jedoch noch weiter vorausgetrabt. »Diese Berge sind für einen
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