Im Bann des roten Mondes
Fleisches beschäftigt war, hob den Kopf. »Mula-Mula?«
»Éoulla, Touhami, Mula-Mula.« Désirée war stolz, sich auch mit Touhami verständigen zu können, und sie zeigte auf den Vogel auf dem Felsen.
Arkani sagte etwas zu ihm, und Touhami senkte schnell wieder den Kopf. Es sah aus, als arbeitete er verbissen weiter.
»Was hat er?«, wunderte sich Désirée. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein, es hat alles seine Richtigkeit.« Er verschwieg ihr, dass das dreimalige Erscheinen des Vogels Unglück bedeutete. Er wollte sie nicht noch mehr ängstigen. Und er fragte sich, welches Unglück noch größer sein konnte als der Tod von Désirées Vater.
Das gebratene Fleisch wurde in Stücke geschnitten und in die Vorratstaschen gepackt. Wahrscheinlich würde es sich schon nach wenigen Tagen nicht vom Leder der Taschen unterscheiden. Aber es war gleichgültig, wenn sie es nur bis zum Lager schaffen würden. Sechs Tage!
XXXII
Im zeitigen Morgengrauen ritten sie los. Der Abschied von der kleinen guelta fiel Désirée nicht leicht. Hier hatten sie und Arkani sich geliebt, zwei Mal.
Der See war verwunschen. Es war ein Zauber, der sie miteinander verband. Der Zauber ihrer Liebe, einer Liebe, die nicht sein durfte. Ob diese Liebe so stark war bis in den Tod hinein?
Warum kam das Wort Tod immer wieder in ihren Gedanken vor? Weil er ihnen bevorstand. Sie konnte an gar nichts anderes mehr denken. Sie begaben sich auf einen Todesmarsch.
Noch besaßen sie genügend Kräfte, einen ausreichenden Wasservorrat. Sie hatten sich an Hirsebrot satt gegessen und drei Brote befanden sich in ihrem Vorratssack. Doch wie lange würden sie reichen?
Am Abend bemerkte sie, dass Arkani ihr ein größeres Stück Brot reichte.
»Das ist zu viel«, sagte sie.
»Iss es«, forderte er sie auf. »Du bist den Hunger nicht gewöhnt. Wir schon.«
Sie aß das Brot und schämte sich danach.
Die Nacht war angefüllt mit Stille, mit Unendlichkeit. Sie lagen nebeneinander und betrachteten die Sterne.
»Hast du sie dir gemerkt?«, wollte er wissen.
Désirée streckte den Zeigefinger vor, als wolle sie die Worte an das Himmelszelt schreiben. Sie fuhr die Linien des Großen Wagens nach. »Die Große Kamelstute«, sagte sie. » Talamat .« Ihr Finger wanderte ein Stück weiter. »Und das da ist ihr Fohlen, Aura .«
Arkani nahm ihre Hand und führte sie am Firmament entlang. »Die sieben Töchter der Nacht, Shat-ahad .« Es waren die Plejaden, das Siebengestirn. Sie spielten hier offensichtlich eine ebenso große Rolle wie bereits im alten Ägypten. Die Sterne waren für alle Menschen gleich. Sie wies auf den Orion.
» Amanar , der Führer«, sagte Arkani. »Er wird uns leiten, wenn wir nachts reisen.«
»Wir werden nachts reisen?«, fragte sie erstaunt und hob den Kopf.
»Ja, wenn der Wasservorrat zur Neige geht.«
Sie schwieg. Da war er wieder, der Tod. Er lauerte ganz in der Nähe, im Schutze der Dunkelheit, aber auch in der Gluthitze des Tages. Er war allgegenwärtig.
Unter dem Atem des Windes veränderten sich die Dünen. Sie bewegten sich, langsam und stetig, als wären es lebendige Wesen. In sanften Bögen, mit scharfen Graten, geriffelt wie das Muster von gelbem Samt waren sie schön und schrecklich zugleich. Unaufhaltsam schoben sie sich vorwärts, gehorchten nur den Gesetzen des Windes. Sie erstickten alles, was sich ihnen in den Weg stellte, und gaben es nach langer Zeit wieder frei, vertrocknet, bleich, tot. Dieses Meer aus Sand beeindruckte das Auge mit seiner tödlichen Schönheit. Wenn man in der Wüste unterwegs war, sah man häufig die ausgeblichenen Knochen von Tieren. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass es einmal lebende Wesen gewesen waren. Fleisch war vergänglich.
Das rhythmische Schwanken ihres Kamels verursachte Désirée Übelkeit. Sie fühlte sich schrecklich. In ihrem Kopf dröhnte und hämmerte es. Wenn sie die Augen schloss, sah sie helle Blitze hinter ihren Lidern. Ihr Körper begann langsam auszutrocknen. Das Wasser verließ nicht mehr auf natürlichem Weg ihren Körper. Ihr Blut wurde dick wie Sirup. Fieber ergriff sie.
In der brütenden Hitze über den Dünen zog sich die Welt zusammen. Die unbarmherzige Sonne nagelte ihre Schatten in den Sand.
Es war ein Land der Illusionen, der Spiegelungen, Visionen und Phantome. Jeder, der dies hautnah erlebte, fühlte sich an den Anbeginn der Welt zurückversetzt. Eine Blüte, die nur einen einzigen Tag in dieser lebensfeindlichen Welt sich öffnete,
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