Im Bann des roten Mondes
werden.
»Was ist das für ein Lied, das du gesungen hast?«
Arkani wiegte den Kopf. »Man kann es schwer übersetzen. Keine andere Sprache gibt die Harmonie der Worte des Tamasheq wieder. Etwa so: Mein Mund spricht die Wahrheit, meine Lippen lügen nicht. Ich habe den Mond gesehen, der am Himmel wandert. Er hat langes goldenes Haar und wird begleitet von der Großen Kamelstute. Wenn der Tag kommt, geht der Mond schlafen. Und ich bin traurig.«
Er trank, ohne seinen Schleier zu heben. Auch Touhami trank so. Niemals würde er sein entblößtes Gesicht einer fremden Frau zeigen. Es wäre genauso schlimm, als würde er die Hosen herunterlassen. Désirée ahnte, dass Touhami ebenfalls hübsch war. Seine Haut war dunkler als die von Arkani, und seine Augenfarbe ähnelte der von reifen Haselnüssen.
Arkani füllte ihren Becher wieder mit Tee. Man sagte, der zweite Becher Tee sei stark wie die Liebe. Langsam kehrte Kraft in ihre müden Glieder zurück. Verstohlen beobachtete sie ihn. Scheinbar gleichgültig und als hätte er alle Zeit der Welt, bewegte er sich. Kein Zeichen deutete darauf hin, dass er besorgt, unruhig oder gar erregt war. Wie konnte ihn eine derartige Situation kalt lassen?
Sie spürte die Einsamkeit und die Leere unmittelbar. Drei winzige menschliche Wesen allein in der Wüste. Wie zerbrechlich war dieses Leben.
Ob die Liebe wirklich stark machte? Ob Arkani sie liebte? Sie hatte sich oft diese Frage gestellt, aber nie eine Antwort erhalten. Der Stolz dieser Männer ließ es gar nicht zu, ihre Liebe einzugestehen. Doch jetzt, im Angesicht des drohenden Todes, wollte sie es wissen.
»Was ist Liebe?«, fragte sie ihn. »Wie empfindest du sie?«
Er setzte sich mit untergeschlagenen Beinen hin und legte locker seine Handgelenke auf die Knie. Sein Blick verlor sich im Feuer.
»Liebe ist etwas, das man tief in seinem Herzen verbirgt. Nur dann hat sie Bestand. Zeigt sie sich, so wird sie zum Gift. Liebe lebt nur in der Stille.«
Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. »Wie aber erfährt die Angebetete, dass sie geliebt wird?«
»Sie muss es nicht erfahren, weil sie es spürt. Wer die Liebe einer Frau erringen will, der muss ihr folgen, sich zu ihr setzen, ihr zuhören, ihren Liedern, ihren Tänzen, ihren Geschichten. So ehrt er sie.«
»Das ist ziemlich schwierig und kompliziert.»
Er lachte leise. »Ist es nicht. Es gibt viele Möglichkeiten. Beim ahâl kommen sie sich näher. Dort kann der Mann um seine Angebetete werben. Aber ihr obliegt die Entscheidung, ob sie sein Werben annimmt.«
»Ich habe dieses ahâl -Fest gesehen, damals in der Oase. Ich habe es nicht richtig verstanden.«
»Wie solltest du es auch verstehen können, ohne uns zu verstehen.«
»Vielleicht verstehe ich es jetzt«, erwiderte sie. »Wie geht es weiter?«
»Wenn eine Frau das Werben eines Mannes angenommen hat, dann zeigt sie ihm ihr Einverständnis. Oft werden Schmiede als Hochzeitsvermittler bestellt. Dafür werden sie bezahlt. Er verhandelt mit den Brauteltern den Preis.«
»Einen Preis?«
»Ja, der Mann muss an die Brauteltern einen Preis zahlen. Meist sind es Kleidung, Sandalen, Tücher, Duftwasser, verpackt in eine große Ledertasche.«
Sie lachte auf. »Ich würde das eher als Bestechung bezeichnen.«
»Hat er den Brautpreis gezahlt, beginnen die Vorbereitungen zur Hochzeit. Ältere Frauen bauen die Hochzeitshütte, in der das Paar dann die sieben Nächte der Hochzeitsfeierlichkeiten verbringt. Zunächst wird das Bett aufgestellt, dann werden am Kopfende des Bettes die Tragegabeln in den Sand gesteckt, an denen der Besitz aufgehängt wird. Die Hütte, das Bett, der Hausrat gehören der Frau. Die alten Frauen singen dabei.
Am ersten Tag wird der Mann von seinen Freunden zur Hennazeremonie begleitet. Seine Füße und Hände werden mit Hennapaste bestrichen. Zuvor wurden mit der gleichen Paste Füße und Hände der Braut eingestrichen. Damit gilt die Ehe als geschlossen.«
»Sie sehen sich dabei gar nicht?«, rief Désirée erstaunt. »Es gibt keine gemeinsame Eheschließungszeremonie?«
Arkani schüttelte den Kopf. »Die Braut darf während der sieben Tage der Hochzeitsfeierlichkeiten weder ihr Gesicht noch ihren Körper zeigen. Das ist aber auch die einzige Zeit, in der sie ihr Gesicht verschleiert. Auch der Bräutigam verbirgt sich bis auf einen winzigen Augenschlitz hinter einem mächtigen Turban. Die Gäste dürfen dafür fröhlich feiern. Oft finden dem Brautpaar zu Ehren Kamelrennen statt.«
»Und wie
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