Im Bann des roten Mondes
... wie ...?« Sie stockte. Sollte man so etwas überhaupt fragen?
Er beantwortete europäische Neugier mit afrikanischem Gleichmut. »Das Paar trifft sich jede Nacht in der Hütte bis zum Morgengrauen. Dann müssen sie sich wieder verschleiern. In der ersten Nacht verhält sich der Mann seiner Frau gegenüber wie eine Mutter, in der zweiten Nacht wie eine Schwester und erst in der dritten Nacht wie ein Mann.«
Sie senkte lächelnd den Blick. »Du warst schon in der ersten Nacht wie ein Mann.« Doch dann verdüsterte sich ihre Stirn. »Wir haben auch nicht geheiratet.«
Arkani begann zu singen: »Mein Bräutigam,
achte die Worte deiner Schwiegermutter
und respektiere, was sie dir sagt.
Behandle mich gut, gib mir Schutz.
Lass mich nicht lange allein.
Schlage das Lager in der Nähe eines Brunnens auf,
gib reichlich Hirse dazu.«
Sie glaubte Arkani inzwischen zu kennen. Aber da hatte sie sich geirrt. Es verbargen sich offensichtlich noch viele Geheimnisse hinter dem blauen Schleier. Als er ihr den dritten Becher Tee reichte, gewahrte sie ein Lächeln in seinen Augen.
»Der dritte Becher Tee ist süß wie der Tod«, sagte er.
Es versetzte ihr einen Stich in den Magen. Der Tod war näher, als ihnen lieb sein konnte. Und er konnte nicht süß sein. Verdursten war ein grässlicher Tod mit langen Qualen. Und Verhungern war auch nicht besser. Nein, über den Tod würde sie ihn nichts fragen.
Arkani erhob sich und ergriff Désirées Hand. Er führte sie in die Dunkelheit hinein. Touhami wandte diskret den Kopf ab, während er am Feuer saß und mit seinem Messer schlanke Äste der Tamariske bearbeitete. Liebe lebte nur in der Stille. Die Nacht hüllte die Liebenden in ihre schwarze Gandura.
Am Ufer des Sees blieb Arkani stehen. Dann begann er Désirées alechu abzustreifen. Sie hielt still, atemlos und mit klopfendem Herzen. Sie hätte ihm gern gesagt, dass sie ihn liebte. Aber sie kannte das Wort nicht in seiner Sprache. Der weiße Schleier fiel zu Boden und bildete einen hellen Fleck im Sand. Sacht schob er ihr Übergewand nach oben, während er sich vor sie kniete. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Bauch. Sie legte sanft ihre Hände auf seine Schultern, leicht wie ein Vogel. Er verharrte einen Augenblick, dann legte er würdevoll und gelassen seinen Schleier ab. Als er sich seiner gesamten Kleidung entledigt hatte, ergriff er wieder Désirées Hand und führte sie zum Wasser.
Das Wasser war eisig. Es raubte ihr den Atem und schnürte ihr Herz zusammen. Am liebsten wäre sie umgekehrt und ans sichere Land geflüchtet. Dieses Wasser, das sie so vermisst hatte, ängstigte sie plötzlich. Sie packte Arkanis Hand fester, um sich Mut zu machen. Als griffen fremde, kalte Hände nach ihr, stieg die eisige Umklammerung an ihren Beinen empor, umfasste ihre Waden, stach in ihre Kniekehlen, schnürte sich um die Oberschenkel. Es war wie eine Vorahnung des Todes.
»Ich möchte sterben«, flüsterte sie.
»Es wäre nicht gut«, erwiderte Arkani. »Dann könnte ich nicht mehr die Süße deines Namens kosten, wenn er mir über die Lippen gleitet.«
Mit einem leisen Aufschrei ließ sie sich in das kalte Wasser sinken. Sie spürte, wie sich alle Adern in ihr zusammenzogen. Gleichzeitig nahm eine wunderbare Leichtigkeit von ihr Besitz und hob die irdische Schwerkraft auf. Sie schwebte.
Je länger sie sich im Wasser befand, desto angenehmer empfand sie es nun.
»Das Wasser, der See, dieses ganze Fleckchen Erde ist verzaubert«, hörte sie ihn sagen. Seine Nähe war tröstlich.
Sie schlang die Arme um seine Schultern, und er hob sie auf seine Hüften. Ihre Gesichter waren sich so nah, in seinen Augen spiegelten sich die Sterne wider. Sie berührte seine Lippen mit den ihrigen.
»Je t’aime, Arkani, je t’aime«, wisperte sie fast unhörbar.
Er hatte es sehr wohl verstanden. Er antwortete nicht, aber er erwiderte ihren Kuss. Und dann liebte er sie, wie es in der dritten Nacht geschehen musste.
Der anbrechende Morgen schickte belebende rosa Töne durch die kühle, glasklare Luft. Die magische Stunde der Geburt eines neuen Tages war angebrochen. Désirée nahm schweigend die Verzauberung dieses Augenblicks in sich auf. Tiefer Friede war in ihr, und ihre Seele ergab sich dem treibenden Sand. Die Wüste hatte sie geläutert. Wahrscheinlich konnte kein Mensch in der Wüste leben, ohne von ihrer irdischen Schönheit berührt zu sein. Dieser Zauber brannte eine immer währende Sehnsucht in ihr Herz ein. Es gab kein
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