Im Bann des roten Mondes
wusste nur, dass Gott es entscheiden würde. Aus diesem Grund hatte er am letzten Abend so inbrünstig gebetet. Er legte seine ganze Kraft in die Anrufung Gottes. Nicht um seinetwillen. Er sollte das Leben von Désirée retten.
Als die Sonne die Dünen in Brand setzte, hob er die Hand und gab das Zeichen zum Rasten. Sie bereiteten das Lager, indem sie Decken zwischen die Kamelsättel spannten. Es spendete Schatten, aber keine Kühle. Reglos lagen sie da, in ihre Gewänder gehüllt, Mumien gleich. Der Schlaf, der sie übermannte, glich einem kleinen Tod. Wenn sie daraus erwachten, würde der Körper unerträglich schmerzen.
Désirée hatte sich zusammengekrümmt wie ein Igel. Unter ihr glühte der Boden. Als die Schatten der Dünen länger wurden, erhob sich Arkani. Er flößte Désirée Wasser ein, das sich in den fast leeren guerbas aufgeheizt hatte. Sie schmeckte nichts mehr, ihre Nerven reagierten nicht. Aber es war feucht, ein paar Tropfen Leben. Sie wollte sich ebenfalls erheben, taumelte und stürzte. In ihrem Kopf wuchs der Druck, der Schwindel. Auf allen vieren kroch sie über den glühenden Sand, wimmerte vor Schmerz leise vor sich hin.
Touhami sattelte die Kamele. Und als die Sonne sterbend hinter die Dünenkämme sank, setzten sie die Reise fort.
Es waren Trugbilder, die über der erhitzten Ebene tanzten. Sie gaukelten verzauberte Seen vor, Oasen, bestanden mit Palmen. Arkani wusste, dass er seinen Augen nicht mehr trauen durfte, dass seine Sinne sich verwirrten. Die beiden schwankenden Gestalten hinter ihm auf ihren Meharis waren vielleicht schon tot. Auch die Dschinnen brauchten Wasser. Sie holten es sich aus den Körpern der Menschen ...
Und dann senkte sich die nächste Nacht über sie. Der Mond wandte sein Gesicht ab und ward nicht mehr gesehen. Die erhabene Stille der Wüste wurde zur Bedrohung. Doch die Wüste wurde nie ohne Grund erbarmungslos. Wer hatte sie beleidigt?
Arkani riss die Augen auf. Und plötzlich wurde sein Kopf klar. Sein Körper straffte sich, der Durst war verschwunden. Er hob das Gesicht und zog seinen Schleier etwas herab. Ein kühler Wind streichelte sein brennendes Gesicht. Das Frühlicht war wie eine Offenbarung. Er wandte sich zu den anderen um.
»Der Fluss«, rief er. »Es ist der Atem des Flusses, den uns die Wüste sendet.«
Sein Mehari begann zu tänzeln. Unter den Hufen stoben kleine Wolken auf, als dampfte der Boden. War es die Unruhe darüber, dass sie sich dem Lager näherten? Es mochte keinen halben Tagesritt mehr bis zur Oase sein. Auch Touhamis Reittier spielte unruhig mit seinen Plüschohren und begann tief und kehlig zu brummen.
Désirée erwachte aus ihrer Schattenwelt, in die sie sich geflüchtet hatte vor der sengenden Bedrohung dieser Welt. Der Vorhang der Finsternis löste sich auf. Sie hielt sich am Sattelkreuz fest. Warum ritten sie nicht schneller? Sie hatten es doch geschafft.
Endlich, endlich! Alles an ihr begann zu zittern und zu beben. Es waren die letzten Kraftreserven, die ihr Selbsterhaltungstrieb mobilisierte. Sie würde Arkanis Füße küssen, nachdem sie zuerst einen Schluck Wasser aus dem Fluss getrunken haben würde. Es war nah, ganz nah, hinter der nächsten Düne ...
Ihr Verstand wütete gegen den Nebel, der ihre Sinne umfangen hielt. Mit letztem Willen drängte sie die Dunkelheit zurück, die sie zu überwältigen drohte. Sie sah Bilder vor sich, einen Krug Wasser, aus dem sie einen Schluck nahm. Er tat gut, dieser Schluck kühlen Wassers. Er gab ihr Kraft.
Arkani wechselte einige Worte mit seinem Sklaven. Touhami antwortete ihm und wies mit der Hand nach vorn. Dann plötzlich änderten sie die Richtung und umgingen das Lager in einem großen Bogen.
»Warum reiten wir weg?«, fragte sie beunruhigt. Ihre Zunge gehorchte ihr kaum, wurde dick und unförmig wie ein Klumpen sterbendes Fleisch.
»Etwas stimmt nicht«, erwiderte Arkani.
»Es ist doch alles in Ordnung«, rief sie mit zitternder Stimme. »Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr!« Dann trieb sie ihr Mehari an, das in einen stoßenden Trab verfiel.
»Désirée, bleib hier!« Arkanis Stimme verhallte hinter ihr. Sie drang nicht mehr in ihr Bewusstsein vor. Vor ihr lag die letzte Düne vor der rettenden Oase. Sie trieb das Kamel den Hang hinauf. Es brummte protestierend im Takt seiner Schritte. Als sie am Kamm ankamen, waren Arkani und Touhami neben ihr.
Zuerst gewahrten sie die Rauchsäulen, die aus dem Oasental aufstiegen. Sie stammten von verbrannten Zelten.
Weitere Kostenlose Bücher