Im Bann des roten Mondes
hätten es wahrscheinlich weiter betrieben, bis keiner mehr übrig geblieben wäre.«
Gequält bäumte Désirée sich auf. »Warum kämpfst du nicht? Warum wehrt ihr euch nicht?«
»Nur wo es ein Gleichgewicht der Kräfte gibt, hat der Kampf einen Sinn«, erwiderte er.
Sie krallte sich an seiner Gandura fest und schaute beschwörend zu ihm auf. »Ihr gebt euch also geschlagen?«
»Der Amenokal ist tot. Da müssen die Waffen schweigen.«
»Wie lange?«
»Bis ein neuer Amenokal gewählt wurde.«
Enttäuscht wandte sie sich ab. Philippe wartete neben einem Kamel, das sich niedergekniet hatte.
»Ein Tuareg trennt sich niemals von seinem Schwert – und nicht von dem Bild der Frau, die er liebt«, sagte Arkani leise.
Désirée rang um Fassung. Sie bemerkte die ungeduldige Handbewegung Philippes. Auch die Soldaten ließen ihre Reitkamele tänzeln und verbreiteten sichtbare Unruhe. Der Leutnant bellte irgendwelche sinnlosen Befehle. Für einen Augenblick überkam sie das Bedürfnis, sich in den Sand zu werfen und zu Stein zu werden. Sie hatte keine Tränen mehr. Nur freie Menschen konnten in der Wüste überleben, Menschen, die keine Grenzen kannten und kein Diktat. All das Wissen über diese lebensfeindliche Welt vereinte sich in dem Volk mit den blauen Schleiern. Alles andere gehörte nicht hierher.
»Ich werde nicht gehen«, sagte sie mit Bestimmtheit. »Ich habe mich niemals als deine Gefangene oder gar Geisel betrachtet.«
»Sie werden dich zwingen«, erwiderte er.
»Das können sie nicht«, widersprach sie heftig.
»Sie haben keine Ehre. Sie haben Frauen und Kinder getötet.«
»Das habe ich nicht gewollt. Ich habe niemals gewollt, dass irgendjemandem ein Leid geschieht.«
Sie wandte sich an Aissa, fasste ihre Hände und presste ihr Gesicht darauf. »Aissa, du hast mich aufgenommen in dein Zelt, hast es mit mir geteilt, bis ich wieder gesund wurde. Deine Fürsorge, deine Pflege, dein Verständnis ... Tanimmert . Tedest, du warst mir fast wie eine Freundin. Ich weiß, ihr versteht mich nicht, und ich hatte nicht genügend Zeit, eure Sprache zu lernen. Ich gäbe den Rest meines Lebens dafür, bei euch bleiben zu dürfen, euer Leben zu teilen, euch zu verstehen. Es ... es tut mir so schrecklich Leid, und ich schäme mich für die Menschen, die euch das angetan haben. Menschen, die aus meinem Land kommen, die so denken und fühlen wie ich, dachte ich. Aber es stimmt nicht. Das ist nicht meine Welt. Ich will nicht wieder dahin zurück!« Ihr verzweifelter Aufschrei verhallte über den Dünen.
» Kern telellit .« Es war Arkanis leise Stimme, die ihr ins Herz schnitt. »Du bist frei.«
Für einen Augenblick taumelte sie. Arkanis Volk konnte nur Frieden finden, wenn sie mit den Soldaten ging. Es war zu viel Leid geschehen.
Mit gesenktem Kopf und schleppendem Schritt ging sie hinüber zu dem geduldig wartenden Reitkamel. Philippe half ihr in den Sattel. Am liebsten hätte sie seine Hand abgeschüttelt.
Laute Befehle brüllend, ritt der Leutnant um die Gruppe. Nur langsam formierte sie sich zu einer Karawane. Dunkelhäutige Haussa-Krieger, die den Franzosen als Söldner dienten, versuchten irgendeine Art von Ordnung hineinzubringen. Es gelang ihnen nur schlecht. Sie zogen davon über die Dünenkämme, die die Oase begrenzten.
Désirée brachte es nicht fertig, sich umzudrehen. Sie ließ die Menschen hinter sich, die ihr das Leben gerettet hatten. Sie ließ die Menschen hinter sich, die zu ihren Freunden geworden waren. Sie ließ die Menschen hinter sich, für die sie begonnen hatte Verständnis zu entwickeln. Sie ließ die Menschen hinter sich, die um ihretwillen gestorben waren. Und sie ließ ihre Liebe hinter sich.
Im Westen war der letzte Zipfel der weinenden Sonne zu sehen. Dann versenkte sie voller Scham ihr Antlitz im dunklen Abgrund hinter dem Horizont.
Doch plötzlich richtete Désirée sich im Sattel auf, wandte sich um und formte ihre Hände wie einen Trichter um ihren Mund.
»Arkaniiiii! Teraaaaar kaaaaai!«
XXXIV
In endloser Eintönigkeit zog die Karawane nach Norden. Wie eine lebende Kette bewegten sich die Reit- und Packkamele mit sanften, sparsamen Bewegungen. Sie hinterließen eine ausgetretene Spur im Sand. Wenn nicht dieser Leutnant Pellegrue wäre, der ständig irgendwelche Befehle herumbrüllte und die mühsam aufrechterhaltene Ordnung in der Karawane durcheinander brachte, gäbe es überhaupt keine Abwechslung. Die Soldaten fluchten häufig – über die Hitze, über den Durst,
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