Im Bann des roten Mondes
Ungewöhnlich viele kräftige Reit- und Lastkamele drängten sich an einer seichten Stelle des Flusses. Die Männer, die um sie herumliefen, trugen französische Uniformen. Es mochten an die fünfzig Soldaten sein. Auch ein paar Zivilisten waren darunter, Araber in weißen Ganduras und mit unverschleierten Gesichtern. Es waren Karawanenführer aus dem Norden. Jemand brüllte auf Französisch Befehle und übertönte das laute Wehklagen der Frauen.
Arkani trieb sein Mehari an und ritt den Dünenhang hinab. Touhami und Désirée folgten ihm.
Es war ein Trugbild, das ihnen die Dschinnen vorgaukelten, es musste ein Trugbild sein. Sie starrte die Soldaten an und begriff es doch nicht. Wo kamen sie her? Wer waren sie? Was wollten sie? Und wieso brannten sie die Zelte nieder?
Das plötzliche Verstehen griff wie eine eiserne Klaue nach ihr und drückte ihr Herz zusammen. Mit einem klagenden Laut krümmte sie sich zusammen.
»Désirée!«
Wie in Trance wandte sie den Kopf. Da stand ein Mann in abenteuerlicher Kleidung. Er trug ein braunes Jackett, gestreifte Hosen und derbe Militärstiefel, auf dem Kopf einen arabischen Schleier und darüber einen Armeehut.
»Désirée! Gott sei es gedankt, du lebst!« Mit ausgebreiteten Armen rannte er auf Désirée zu, die ihn befremdet anstarrte.
»Philippe?« Sie kniff die entzündeten Augen zusammen und neigte fragend den Kopf. »Wie kommst du hierher?« Noch glaubte sie an eine Fata Morgana, eines dieser Trugbilder, die die Sinne narrten und den Geist quälten. »Was tun all die Soldaten hier?«
»Wir sind gekommen, um dich zu befreien!« Das strahlende Lächeln auf seinem Gesicht erschien ihr wie die Fratze eines Dschinns. Sie starrte ihn sprachlos an.
Einer der fremden Kameltreiber schlug ihrem Mehari heftig in die Kniekehlen, bis es sich unter lautem Protest niederkniete.
Philippe packte Désirée und zog sie in seine Arme. »Jetzt bist du frei, mein Kleines. Du bist frei!« Seine Stimme versagte, und er presste sein Gesicht in ihren Kopfschleier. Dann riss er ihn herunter und schluchzte hemmungslos in ihr Haar.
Wie zu einer Säule erstarrt, ließ sie diesen Gefühlsausbruch über sich ergehen. Sie starrte über ihn hinweg und sah die Männer des Nomadenlagers stumm im Kreis stehen. Sie strahlten noch immer Kraft und Ruhe aus im Angesicht des Weges ins Nichts. In ihrer Schicksalsgläubigkeit gingen sie dem unvermeidlichen Tod ohne Lärm und Empörung, in stummer Würde und ungebrochenem Stolz entgegen.
Dahinter rauchten die verkohlten Reste der Zelte. Wie kleine Unglückshäufchen bildeten sie in dem hellen Sand dunkle Flecke, aus denen sich dünner Rauch kringelte.
Désirée presste ihre Handflächen gegen Philippes Brust und schob ihn von sich. Mit starrem Blick ging sie an ihm vorbei.
»Was habt ihr getan?«, fragte sie mit vor Entsetzen bleichem Gesicht. »Was habt ihr getan?«
Philippe folgte ihr. »Aber Désirée! Wir sind gekommen, um dich zu befreien.«
»Was habt ihr getan?« Sie schrie ihren ohnmächtigen Schmerz aus sich heraus. »Ihr Mörder! Es waren unschuldige Menschen! Sie haben mein Leben gerettet, sie haben mir Gastfreundschaft gewährt! Ihr habt sie einfach getötet! Mörder! Mörder!« Mit den Fäusten schlug sie auf Philippe ein. Nur mit Mühe gelang es ihm, ihre Arme festzuhalten.
»Beruhige dich doch, bitte beruhige dich. Es ist alles vorbei! Was musst du gelitten haben. Du bist völlig durcheinander.« Er zog sie wieder in seine Arme, und die Rührung übermannte ihn erneut.
Désirées Beine gaben nach, und eine wohltuende Dunkelheit umfing sie.
»Wasser!«, rief Philippe. »Verdammt noch mal, bringt Wasser!«
Etwas in Désirées Innerem wehrte sich dagegen, dass die Lebensgeister in ihren Körper zurückkehrten. Sosehr ihr ausgedörrter Körper nach Wasser verlangte, sie wollte es gar nicht haben!
Jemand flößte ihr das Wasser mit Gewalt ein. Sie verschluckte sich, hustete und erbrach sich. Als sie die Augen öffnete, sah sie Philippe. Sein Gesicht war voller Sorge. Er hielt sie wie ein Kind im Arm und wiegte sie sanft hin und her.
Jemand trat zu ihnen. Désirée sah nur staubige Militärstiefel. Langsam wanderte ihr Blick nach oben. Die französische Uniform erschien ihr gleichzeitig so vertraut wie abschreckend.
»Was ist, Monsieur? Kann Ihre Braut reiten? Ich will keine weitere Nacht hier verbringen und meine Leute der Gefahr aussetzen, einen Dolch zwischen die Rippen zu bekommen oder den Kopf von der Schulter zu verlieren.«
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher