Im Bann des roten Mondes
unsere Sprache, unsere Sitten und Gebräuche zu erlernen, zu achten und zu beherzigen. Der Feind steckt in den Köpfen dieser Teufel, die unseren Stolz brechen wollen, uns demütigen und töten, unsere Flügel beschneiden wie gefangene Falken. Sie wollen uns unsere Identität nehmen, ihre eisernen Pisten durch die Wüste treiben und sie so verletzen, verstümmeln, entehren. Sie richten Waffen der Feigheit auf uns und glauben, im Recht zu sein. Wie die gefräßigen Heuschrecken kommen sie und reißen alles an sich. Sie vergiften uns mit dem Geist ihrer Anschauung vom Leben, von Zivilisation, Sprache und Sitten. Werfen wir uns ihnen entgegen, stoppen wir sie auf ihrem unehrenhaften Raubzug durch unsere Gebiete! Rächen wir die Schmach und die Entehrung, die sie uns angetan haben! Wählt einen Amenokal, der euch in diesen Kampf führt!«
Aissa verstummte und rang nach Luft. Dann drehte sie sich um und nahm wieder Platz in der Reihe der Zuhörer.
Stumm hatten die Anwesenden Aissas flammende Rede verfolgt. Und es herrschte noch Schweigen, bis sie ihren Platz wieder eingenommen hatte. Doch dann brach der Tumult los. Selbst die älteren Ratsmitglieder hatten so eine djemaa noch nicht erlebt. Den Jüngeren wurde langsam bewusst, dass soeben etwas historisch Bedeutsames geschehen sein musste, dessen Tragweite sie noch gar nicht richtig erahnen konnten.
Es dauerte eine geraume Weile, bis die heftigen Diskussionen verebbten. Nach und nach wandten sich alle Blicke zu Arkani und die Anwesenden verstummten.
Gespannte Ruhe lag über dem Ratsplatz, und nur das Knacken des ausgetrockneten Holzes im Feuer durchbrach die Stille. Jeder erwartete, dass Arkani das Wort ergriff.
Er erhob sich langsam und ordnete zunächst mit Bedacht die Falten seines tekamist . Dann richtete er den tugulmust und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Seine Stimme klang durch den indigoblauen Stoff gedämpft und doch deutlich genug, dass alle in der Runde sie vernehmen konnten.
»Sie alle werden kommen, die Gesandten der Stämme und der Kel Ulli. Hier, an diesem Ort, werden wir nicht nur den neuen Amenokal wählen und dazu ein großes Fest feiern. Hier werden wir die Stämme vereinen, so werden wir eine große Schlagkraft gegen die Fremden haben. Alle Krieger des blauen Schleiers werden zu ihren takoubas greifen und sie gegen die Fremdherrschaft erheben.«
»Auch die Kel Ulli?«, fragte jemand erstaunt.
»Auch die Kel Ulli«, bestätigte Arkani. »Sie werden die Erlaubnis erhalten, Waffen zu tragen, und sie werden einem der edlen Krieger unterstellt.«
Das anschwellende Murmeln unterbrach er mit einer knappen Handbewegung.
»Aber bis die Krieger alle zusammengekommen sind, sind die Soldaten längst in ihre Garnison zurückgekehrt«, wandte ein anderer ein.
»Es bedarf keiner ungesunden Eile«, erwiderte Arkani gelassen. »Ihr alle kennt die Geschichte, in der alle Menschen der Erde noch in einem Lager zusammenlebten. Da rannte ein wildes Rind vorbei. Ohne nachzudenken, sprangen die Europäer und die Asiaten auf und klammerten sich an seinen Hörnern fest. Auch die Araber rannten ihm hinterher und bekamen nur noch den Schwanz zu fassen. Sie alle wurden jämmerlich mitgeschleift. Doch die Nomaden, die kochten erst einmal Tee, um zu beraten, ob sie dem Rind, wenn es müde sei, folgen sollten.«
Beifälliges Gelächter folgte.
»Wir werden ihnen folgen – nachdem wir Tee getrunken haben.«
Nun war der Jubel und Beifall nicht zu bremsen. Und alle wussten, wer der nächste Amenokal sein würde.
In den nächsten Tagen trafen Gesandte und Krieger aller Stämme des Hoggar ein. Nichts deutete auf einen nahenden Kampf hin. Die bevorstehende Wahl des neuen Amenokals wurde gefeiert. Prächtig gekleidet, auf ihren reich geschmückten Meharis, lieferten sie sich einen Wettstreit in Schönheit, Eleganz, Anmut und Reitfertigkeit. Kleinere Kamelrennen wurden veranstaltet, Musik erklang, Frauen und Männer tanzten, über den zahlreichen Holzfeuern wurden geschlachtete Hammel und Ziegen gebraten. Die Frauen stampften unentwegt Hirse, die Sklaven gingen ihnen zur Hand und kochten Schüsseln voller Klößchen, bereiteten Soßen aus getrockneten Tomaten und Zwiebeln zu und schleppten ununterbrochen Holz für die Feuer heran. Die Issegaren brachten körbeweise frisches Gemüse von den Feldern, und einige der Männer gingen auf die Jagd und bereicherten das Mahl mit Antilopen- und Straußenfleisch.
Die Ratsmitglieder und Abgesandten der Sippen ließen
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