Im Bann des roten Mondes
sich Zeit mit der Wahl des Amenokals. Sie debattierten die Abstammung des Kandidaten, seine Vorzüge, sein Geschick im Umgang mit dem Schwert, seine Wortgewandtheit und sein Geschick in Poesie und Musik.
Aber als es zur Abstimmung kam, waren sich alle einig. Arkani, Sohn des Ahitarel und der Aissa, wurde einstimmig zum neuen Amenokal gewählt.
Stolz trat Aissa vor und überreichte ihrem Sohn die tobol . Sie war das Symbol der Autorität des Amenokals. Arkani nahm sie in Würde und Dankbarkeit entgegen. Dann wandte er sich an die Gesandten und Gäste.
»Mein Herz ist voll Stolz und Freude, dass sich die Stämme zusammengefunden haben. Ein neuer Amenokal wurde gewählt. Mögen Allahs Schutz und Weisheit immer mit uns sein.« Er hob die Trommel in die Höhe. »Die tobol wird geschlagen, weil wir einen großen Kampf führen müssen, einen Kampf, in dem wir alle Kräfte benötigen. Solange wir Stamm gegen Stamm kämpfen, sind wir ein schwaches Volk, ein angreifbares Volk.«
»Du beleidigst das Volk der blauen Schleier«, rief jemand. »Noch nie haben wir uns vor etwas gefürchtet. Und wir sind stark.«
»Nein, wir sind in dem Augenblick uneins, wenn wir uns gegenseitig mit Rezzous bekämpfen. Für diesen Kampf aber müssen alle Stämme Seite an Seite kämpfen.«
»Es gibt so lange die Rezzous, wie es den tugulmust gibt, Arkani. Beides gehört zu uns. Sollen wir etwa auch den Schleier ablegen?«
»Niemand erwartet das von euch. Und wir werden es auch nicht tun. Er wird unser Zeichen sein, das Fanal, das wir setzen. Es wird auch kein Rezzou sein, denn unser Gegner ist nicht ehrenhaft, und es herrscht auch kein Gleichgewicht der Kräfte.«
»Wozu dann einen Kampf?«, fragte verblüfft einer der Gesandten. »Wir werden nicht gegen Schwächere antreten.«
»Die Schwächeren sind wir«, entgegnete Arkani. »Aber wenn wir alle zusammenstehen, geschlossen eine Front bilden, nicht die kleinste Lücke zwischen den Stämmen zu entdecken ist, dann werden wir siegen.«
Aufgeregtes Stimmengemurmel erhob sich.
»Wir werden gegen die Franzosen kämpfen«, rief Arkani und streckte die Trommel wieder über seinen Kopf.
Ohrenbetäubender Lärm erscholl, beifälliger Jubel. Arkani hob die Hand, um sich Ruhe zu verschaffen. »Die Franzosen besitzen die Waffen der Feiglinge und setzen sie skrupellos ein. Nicht nur gegen die Krieger, sondern auch gegen Frauen und Kinder.«
Er schwieg einen Augenblick in der überwältigenden Erinnerung an das Massaker, das erst vor kurzer Zeit das Leben in seinem Lager auf so dramatische Weise verändert hatte. Er dachte an Désirées Worte, dass es nur zu einem Kampf kommen konnte, wenn auch die Tuareg Gewehre besäßen. »Aber wir besitzen keine Gewehre.«
»Wir Imajeren benutzen nicht ihre teuflischen Waffen«, rief einer. »Wir haben unsere Schwerter.«
Er erhielt frenetischen Beifall. Die Krieger versetzten sich immer mehr in Kampfstimmung.
»Gegen diese Waffen richten unsere takoubas nur etwas aus, wenn wir eine bestimmte Taktik verfolgen«, ließ sich Arkani wieder vernehmen. »Wir werden nicht kämpfen nach den alten Regeln unseres Volkes, wir müssen die offene Schlacht mit Schwert, Schild und Lanze vermeiden. Dann strecken sie uns mit ihren Gewehren nieder, jeden Einzelnen. Wir werden kämpfen wie die Wölfe und Schakale: angreifen, zuschlagen, flüchten, zurückziehen, angreifen, ein Stück Beute entreißen, flüchten, zurückziehen, erneut sammeln, angreifen – und das blitzschnell und unerwartet.«
Statt Beifall legte sich lähmendes Schweigen über die Versammelten. Da und dort erhoben Männer ihre protestierende Stimme. »Das ist unwürdig!« – »Das ist kein ehrenvoller Kampf!« – »So etwas tut ein edler Krieger nicht!« – »Es ist mit unserer Kampfesauffassung unvereinbar!«
Arkani atmete tief durch. Er wusste, dass er mit heftigem Widerstand rechnen musste.
»Ihr habt Recht. Aber ich sagte auch, es ist kein ehrenvoller Gegner. Wir müssen uns auf ihn einstellen. Deshalb die besondere Taktik. Es gibt keinen anderen Weg, sie das Fürchten zu lehren.« Dann riss er sein Schwert aus der Scheide und schwang es über dem Kopf. »Lehren wir sie das Fürchten!«
Mit einem Jubelschrei rissen alle Krieger ihre Schwerter hoch und schwangen sie über ihren Köpfen. Arkani griff zur Kriegstrommel und begann sie rhythmisch zu schlagen. Die Krieger formierten sich im Kreis, hielten die blanken Schwerter hoch und begannen sich im Takt der Trommel mit kleinen Schritten zu bewegen.
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