Im Bann des roten Mondes
kamen und Männer töteten, Frauen zu Witwen und Kinder zu Waisen machten?«
»Ich habe nichts vergessen. Auch meine Mutter wurde zur Witwe.«
»Und trotzdem willst du gehen?«
»Éoulla. Mein Entschluss steht fest.«
»Es ist kein Entschluss für unseren Stamm. Es ist dein ganz eigener. Du willst diese Frau haben, weiter nichts.«
»Nein, ich muss einen Kampf führen. Das wirst du doch wohl eher verstehen.«
»Es ist dein Kampf, Arkani, nicht unserer. Du willst nichts weiter als Rache. Wenn du diese Frau wieder hierher holst, bringst du auch das Unglück mit.«
Wütend fuhr Arkani herum. »Nicht diese Frau hat das Unglück angezogen, sondern eure Gier nach Lösegeld. Es war unehrenhaft, und nur deshalb habt ihr das Unglück heraufbeschworen.« Seine Augen funkelten Akhamouk zornig an. »Es war nicht der Wille des Amenokals.«
»Und jetzt fürchtest du dich davor, die Verantwortung zu übernehmen?«, höhnte Mahmoud.
»Keineswegs«, erwiderte Arkani. »Es gibt genügend geeignete Kandidaten. Ihr wisst genau, dass der Nachfolger des Amenokals der mütterlichen Linie entstammen muss. Da mein Vater keine jüngeren Brüder mehr hat, so wäre Moussa der Nächste.«
Er erntete Gelächter. Moussa war gerade mal fünfzehn Jahre alt. Er war ein hübscher Junge, aber er musste sich erst in allen Tugenden beweisen.
»Und was ist mit Jerab, Oumelkir, Sidi, Elias, Ibrahim, Katabou, Ismarel, Bachir, Khadou? Sie alle entstammen der mütterlichen Linie des Amenokals.«
Mahmoud winkte ab. »Wir werden geeignete Kandidaten vorschlagen, Arkani, aber du weißt selbst, dass du der geeignetste bist. Du allein hast dich bewiesen, sowohl im Kampf als auch in der Poesie. Deine Schönheit, Tapferkeit, deine Eleganz und dein Mut werden gerühmt und sind weit über die Grenzen unseres Stammes hinaus bekannt. Deine Klugheit, deine Großzügigkeit und Bescheidenheit, deine Ausdauer und Redegewandtheit eilen dem Wind voraus. Wer ist dir ebenbürtig?«
»Aber jetzt steht ihr nicht zu mir. Ihr heißt nicht gut, was mein Wille ist. Wie kann ich dann euer Amenokal sein?«
Plötzlich erhob sich aus dem Kreis der stummen Zuhörer eine Frau. Es war Aissa.
»Es ist nicht üblich, dass eine Frau die Stimme erhebt und so in den Disput der Ratsmitglieder eingreift«, sagte sie bescheiden. »Ich wage es trotzdem, weil es eine wichtige Sache gibt, die beachtet werden sollte. Ihr sagt, die fremde Frau ist schuldig. Ihr sagt, Arkani läuft dieser fremden Frau nach. Ihr sagt, er holt das Unglück zurück. Ihr sagt, es ist Arkanis Sache. Ihr sagt, er schadet damit seinem Stamm, seiner Sippe. Der Hass auf alles Fremde trübt euren Blick. Diese Franzosen sind verdammenswert. Sie haben unsere Männer, Frauen und Kinder getötet. Es sind Teufel, die bekämpft werden müssen. Aber sie haben auch etwas anderes getan. Sie haben unsere Gastfreundschaft beschmutzt. Gastfreundschaft ist eine unserer wichtigsten Tugenden.«
»Niemand hat sie als Gast betrachtet«, fiel ihr Akhamouk ins Wort und erntete sofort strafende Blicke der Anwesenden.
Aissa ließ sich von seinem Einwand nicht erschüttern. »Nicht die Franzosen, aber Désirée verstand sich als unser Gast.«
Überraschtes Gemurmel machte die Runde. Aissa legte ihre Hand auf die Brust. »Es war mein Zelt, in dem ich Désirée beherbergte, es war mein Lager, auf dem sie schlief, es war meine Pflege, die ich ihr angedeihen ließ, es war mein Brot, das sie aß, und es war mein Wasser, das sie trank. Sie war mein Gast, solange sie in unserem Lager weilte, und sie war mein Gast, solange sie an Arkanis Seite ritt. Von seiner Seite haben sie sie weggerissen, diese Franzosen. Sie haben sie gezwungen, mit ihnen zu gehen. Sie haben das Gastrecht mit Füßen getreten, indem sie unseren Gast entführten. Deshalb sollen sie gestraft werden. Sie haben den Tod verdient, weil sie Teufel sind.«
Das beifällige Raunen schwoll zum Tumult an.
Aissa hob die Stimme. »Habt ihr vergessen, dass auch mein Vater Amenokal war? Nur weil seine mütterliche Linie infolge der schrecklichen Hungersnot nach dem Jahr mit der Heuschreckenplage ausstarb, wurde ein Mitglied aus Alhavis Sippe gewählt. Ich weiß, man soll den Namen eines Toten nicht mehr aussprechen, aber muss ich euch daran erinnern, welche Taten Ahitarel zum Ruhme gereichten? Welche Taten meinem Vater Ousma zum Ruhme gereichten? Ist es nicht Arkani, der all diese Ahnen in sich vereint? Der Feind ist nicht eine einzelne Frau, die unter uns gelebt hat und bereit war,
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