Im Bann des roten Mondes
weitere zehn wurden vermisst, und auch Pellegrue war mit einem Mann weniger zurückgekommen. Und diejenigen, die zurückgekehrt waren, waren mehr tot als lebendig. Aber er brauchte alle, um die Garnison zu verteidigen.
Das hübsche Berbermädchen, das sich ihm für die Nacht angeboten hatte, schickte er mit einer ungeduldigen Handbewegung weg. Er überlegte, ob er die Kanonen ausrichten lassen sollte.
Vor dem immer noch geschlossenen Tor gab es Tumult. Die bislang eingeschlossenen Bauern und Händler wollten hinaus, andere hinein.
»Sergeant Picard, schicken Sie alle verfügbaren Männer in die Waffenkammer. Lassen Sie Munition austeilen. Wachenverstärkung auf den Türmen. Und öffnen Sie das Tor, aber kontrollieren Sie die Leute.«
Nur äußerlich schien sich das Leben in der Garnison zu normalisieren. Der Koch handelte mit den Bauern, einige Händler boten Teppiche, Lederarbeiten und Kupfergegenstände feil, die Musikanten spielten im Schatten des Stalles, und einige Berberjungen machten sich bei der Pflege der Pferde und Maultiere nützlich.
Febréze spürte selbst am meisten die Spannung, die unter seinen Männern herrschte. Während sie die Waffen putzten, waren sie beschäftigt. Aber er wusste auch, dass sie der kleinste Anlass aus der Fassung bringen würde.
Sechsundzwanzig Mann verloren, zehn vermisst! Febréze kratzte sich am Kopf. Er wusste nicht, wie er das gegenüber seiner Obrigkeit begründen sollte. Nichts deutete darauf hin, dass es zu irgendwelchen Kampfhandlungen kommen würde. Die Stammesführer der Beduinen hatten mit den Franzosen ein Friedensabkommen geschlossen, die Kabylen waren erst blutig niedergeschlagen worden. Es herrschte Ruhe über der Wüste. Oder doch nicht?
Er erinnerte sich wieder an das Kabel, das er aus Constantine erhalten hatte und in dem ein offensichtlich sehr einflussreicher junger Mann seine militärische Hilfe angefordert hatte. Eine französische Frau war in der Wüste verschollen. Zum Teufel, was suchte auch so ein Weib in der Wüste? Gab es für sie keine andere Beschäftigung?
Vielleicht war es ein Fehler gewesen, darauf einzugehen. Sollte er doch diese Verrückte suchen, aber ohne ihn. Nun hatte er das Problem am Hals, wenn Pellegrue Recht hatte. Und dass er das hatte, darauf wiesen Art und Weise, wie die Soldaten getötet worden waren, hin. Seine einzige Beruhigung war, dass die Tuareg ziemlich eigensinnig an ihren herkömmlichen Waffen festhielten. Waren sie im Nahkampf auch absolut tödlich, so würde er es gar nicht erst so weit kommen lassen. Die Gewehre und Kanonen der Franzosen waren diesen mittelalterlichen Waffen allemal überlegen.
»Mon Colonel, sollten wir nicht nach der verschollenen Patrouille von Sergeant Boulieux suchen lassen?«, riss ihn Sergeant Picard aus den Gedanken.
Febréze überlegte. Wenn Boulieux nicht zurückkam, dann konnte das verschiedene Gründe haben. Es konnte daran liegen, dass der Sergeant sich verirrt hatte und den Rückweg nicht fand. Aber das war nahezu ausgeschlossen. Boulieux war erfahren genug, hatte bereits in Marokko gedient und war nur nach Ouargla versetzt worden, weil er im Casino im Streit einen anderen Offizier erschossen hatte. Dieser hatte ihn angegriffen und mit einem Messer verletzt. Beide waren betrunken gewesen, es soll um eine Frau gegangen sein, und Boulieux hatte sich dann auch noch der Verhaftung durch Flucht entzogen. Aber er war und blieb ein alter Wüstenfuchs. Nein, daran konnte es nicht liegen.
Vielleicht lag es an den Pferden. Pferde benötigten weitaus mehr und häufiger Wasser als Dromedare. Aber er konnte keinen seiner Offiziere überzeugen, Dromedare zu reiten. Sie waren viel zu langsam, zu störrisch und nicht elegant genug. Mochten die Nomaden sie benutzen, ein französischer Offizier ließ sich nicht auf das Niveau von Kameltreibern herab. In diesem Fall würde es sehr wohl helfen, wenn sie ihnen mit Wasser entgegenreiten würden.
Oder auch sie waren in einen Hinterhalt geraten. Das wäre die schlechteste aller Möglichkeiten. Aber auch die wahrscheinlichste. Febréze konnte sich zwar nicht vorstellen, warum die Tuareg eine andere Kriegsstrategie anwenden sollten. So konservativ und halsstarrig sie an ihren mittelalterlichen Waffen festhielten, so traditionstreu und berechnend hielten sie auch an ihrer Strategie fest. Sie waren todesmutig, schnell und bevorzugten den offenen Kampf. Sie kämpften Mann gegen Mann. Und deswegen hatten sie keine Chance.
Febréze hätte spätestens jetzt
Weitere Kostenlose Bücher