Im Bann des roten Mondes
Kelle voll Mus in die Schüssel.
Febréze beobachtete ihn. »Und nun essen Sie«, forderte er Gilbert auf. »Essen Sie! Das ist ein Befehl!«
Mit einem etwas verlegenen Grinsen begann der Soldat zu essen. Er löffelte das köstliche Mus in sich hinein. Da und dort erklang ein Lachen. Anstelle der Todesstrafe war das wirklich das Paradies. »Zu so etwas möchte ich auch mal verurteilt werden«, sagte ein anderer leise.
Als die Schüssel leer war, winkte Febréze. »Noch eine Schüssel.«
Der Koch füllte sie wieder auf. Mit einem entsetzten Blick nahm Gilbert sie entgegen und begann schon wesentlich langsamer zu essen. »Essen Sie, Mann!«, raunte Febréze. »Gnade Ihnen Gott, dass Sie die Schüssel leeren.«
Unter größter Anstrengung leerte er auch diese Portion. Mit unbewegter Miene verfolgte der Colonel seine Qual. Dann winkte er wieder. »Noch eine Portion.«
»Gnade, Colonel«, winselte der Soldat.
Febréze war unerbittlich. »Wagen Sie es nicht, das Zeug auszukotzen. Dann löffeln Sie es wieder auf«, drohte er. Er blieb stehen, bis der Soldat nach der Hälfte der Portion auf die Knie sank.
»Schafft ihn weg«, befahl der Colonel angewidert. Dann wandte er sich an die anderen. »Hat noch jemand Appetit?«
Die Disziplin war wiederhergestellt. Die Rationen wurden verteilt, und die Soldaten nahmen ihre Mahlzeit zu sich.
Langsam ging der Kommandant zurück zu seinem Platz an der Kanone. Er streichelte gedankenverloren mit der Hand darüber. Pellegrue hatte sich wieder in die Waffenkammer verzogen.
Die Zeit verrann stetig wie durch eine Sanduhr. Febréze nahm eine Hand voll Sand und ließ sie durch die Handfläche laufen. Wieder und wieder. Was hatte der Gegner vor? Wer war er? Wo war er? Wann würde er angreifen? Würde er überhaupt angreifen? War es nur eine Warnung oder Auftakt zu einer größeren Attacke?
Er würde warten, warten, warten ...
»Colonel, Colonel, Soldat Gilbert geht es schlecht«, rief Picard vom Mannschaftsquartier aus.
Febréze klopfte mit der flachen Hand auf die Kanone, als sei es das Hinterteil eines Pferdes. »Das soll es ja auch«, erwiderte er ungerührt. »Das war der Sinn der Erziehung.«
»Es geht ihm aber offensichtlich sehr schlecht«, entgegnete Picard.
Der Kommandant wurde ungehalten ob dieser unwichtigen Störung. »Herrgott, dann schafft ihn auf die Latrine!«
Zwei Soldaten schleppten den halb Ohnmächtigen, der sich in Krämpfen wand, in das kleine Gebäude neben dem Stall, in dem sich die Latrine befand. Dort hockten schon andere Soldaten zusammengekrümmt. Sie packten Gilbert daneben. Jemand zog ihm die Hose herab.
»Was ist los?«, wollte Picard wissen.
»Bauchschmerzen«, wimmerte einer. Es waren insgesamt sieben, die sich auf der Latrine drängten. Gilbert kippte um. Zwei weitere Soldaten kamen hereingetaumelt. Einer erbrach sich, der andere fiel auf die Knie. Picard verließ fluchtartig die Hütte.
»Colonel, irgendetwas stimmt nicht. Die Männer haben alle Bauchschmerzen.«
»Fieber?«, wollte Febréze wissen. Das fehlte ihm noch, dass nun wieder das Fieber ausbrach.
»Ich weiß es nicht. Es sieht nicht so aus.«
»Dann vergewissern Sie sich, Mann«, bellte Febréze ihn an.
»Jawohl, Colonel«, salutierte er. Doch er kam gar nicht dazu. Ein Soldat kam ihm entgegengelaufen. »Melde gehorsamst, Sergeant, Soldat Gilbert ist tot.«
»Tot?« Picard starrte ihn an.
»Tot?«, echote Febréze. »Unsinn! Von Konfitüre kann man nicht sterben. Und von Fieber auch nicht so schnell.«
»Ich glaube, es ist kein Fieber«, sagte Picard. »Die Männer drängen sich auf der Latrine, wälzen sich vor Schmerzen.«
»Wo ist der Stabsarzt?«, wollte Febréze wissen.
»Er ist schon bei ihnen«, erwiderte Picard. »Er sagt, alle haben die gleichen Symptome.«
Mit großen Schritten eilte Febréze zum Latrinenhäuschen. In ihrer Verzweiflung hatten einige Soldaten bereits davor ihre Hosen heruntergelassen.
Beunruhigt starrte der Kommandant auf die Szene. »Monsieur le Docteur!«, rief er.
Der tote Gilbert wurde aus dem Latrinenhaus getragen. Der Doktor folgte ihm mit bleichem Gesicht.
»Was hat das alles zu bedeuten?«, rief der Kommandant.
Der Doktor taumelte. Sein Gesicht war weiß wie eine Kalkwand. »Ich weiß es nicht. Es trat bei allen plötzlich und akut auf.«
»Nicht bei allen«, widersprach Febréze. »Mir fehlt nichts. Picard?« Der Sergeant schüttelte den Kopf. »Pellegrue?« Der stand abseits mit starrem Gesicht. »Nein, ich habe nichts«,
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