Im Bann des roten Mondes
wieder seine Pistole ab, bis das Magazin leer war. Dann erst bemerkte er die stummen Blicke der Soldaten. Sie standen erstarrt, ihre Gewehre mit den aufgepflanzten Bajonetten in den Händen. Aber es gab niemanden, gegen den sie hätten kämpfen können. Die Spuren verwehte der Wüstenwind.
Pellegrue schien sich zu besinnen. Er kam die Düne herab und bestieg wieder sein Pferd. »Abteilung kehrt! Marsch!«, kommandierte er.
»Und die Toten?«, fragte einer der Soldaten.
»Die laufen nicht weg«, erwiderte Pellegrue sarkastisch.
Die Männer standen da, dann nahmen sie ihre Mützen mit den verschmutzten Nackentüchern ab und verharrten in stummem Gebet. Einer ging vor und hob die französische Fahne auf, die halb im Sand vergraben lag. Damit deckte er den abgetrennten Kopf eines der Männer zu.
»Besinnt euch, Soldaten! Im Angesicht des Todes ist es nicht angebracht, nachzudenken. Ihr seid ohnehin hier, um zu sterben. Wir können nichts mehr tun. Aber wir sollten zusehen, dass wir zurück in die Garnison kommen, um Meldung zu erstatten. Die kommen wieder!«
Und diesmal trieb die Angst die völlig entkräfteten Männer, sodass ihr Tempo ein bisschen zügiger wurde.
XXXVII
Das Tor der Garnison stand immer noch weit offen. Von drinnen hörte man Lachen, Musik und Gesang. Zwei Feuer brannten, und die Beduinen saßen gemeinsam mit den Soldaten im Kreis. Zwei junge Mädchen tanzten nach den Trommeln und Flöten.
Der Wachhabende auf einem der Türme, der sich im Stillen ärgerte, dass er am Treiben auf dem Garnisonshof nicht teilnehmen konnte, sah Pellegrues Truppe nahen. Ein Grinsen flog über sein Gesicht. Die Männer waren so entkräftet, dass sie sich nur noch auf ihre Gewehre gestützt vorwärts schleppen konnten. Und doch schien ihnen der Teufel im Nacken zu sitzen. Wahrscheinlich waren ihnen sogar im Augenblick die tanzenden Frauen der Ouled Nail egal, wenn sie nur einen Schluck Wasser bekämen.
Wenige hundert Meter vor dem Tor gab Pellegrue seinem Pferd die Sporen und sprengte in den Hof hinein. Vor dem Kommandanturgebäude sprang er ab und machte sich nicht die Mühe, es anzubinden. Mit großen Schritten eilte er hinein und die Treppe hinauf.
Febréze blickte ihm mit einer Mischung aus Argwohn und Unwillen entgegen.
»Was ist? Warum lassen Sie Ihre Leute nicht zum Appell antreten?«, fuhr er Pellegrue an.
»Kommandant, melde gehorsamst, Überfall der Tuareg! Mervilles Patrouille ist überfallen worden. Keine Überlebenden.«
Febréze sprang auf. »Was? Hier? So weit sind sie noch nie nach Norden gekommen. Haben Sie sich auch nicht geirrt?«
»Nein, Monsieur le Colonel.«
Febréze starrte Pellegrue an. »Haben Sie die Tuareg gesehen?«
»Nein, Monsieur le Colonel.«
»Woher wollen Sie dann wissen, dass es tatsächlich Tuareg waren?«
»Ein Teil der Männer wurde ... geköpft.«
Febréze stieß die Luft aus. Er wusste, nun war es mit der Ruhe vorbei. »Geben Sie Alarm, und lassen Sie sofort das Tor schließen«, befahl er. Dann eilte er selbst auf den Hof. Er ignorierte die Schreie der eingeschlossenen Beduinen und ihre Proteste. Darauf ließ er die Wachen auf den Türmen und dem Wandelgang verstärken.
»Kommandant, die Patrouille unter Sergeant Boulieux ist auch noch nicht zurückgekehrt«, ließ sich einer der wachhabenden Offiziere vernehmen.
»Das weiß ich auch«, blaffte Febréze gereizt zurück. »Halten Sie verstärkt nach ihnen Ausschau, und geben Sie ihnen notfalls Feuerschutz.«
Und dann senkte sich eine gespenstische Stille über die Garnison. Die Nacht brach herein, ohne dass es eine Spur von Boulieuxs Patrouille gab. Aber auch von den Tuareg ließ sich keiner sehen. Langsam kam Febréze zu der Überzeugung, dass Pellegrue sich geirrt haben musste. Wahrscheinlich verfolgte ihn die Angst wegen des Massakers in dem Nomadenlager der Tuareg.
Febréze hatte Pellegrue seine Missbilligung ausgesprochen. Es war nicht ungefährlich, die Tuareg zu reizen. Trotz Pellegrues aufgeblasener Schilderung seiner Befreiungsaktion war der Kommandant überzeugt, dass seine Aktionen überzogen waren. Und er hoffte nur, dass dieser Überfall nicht das Zeichen der Rache der blauen Krieger war. Ansonsten würde es nicht gut um sie stehen.
Doch als der Morgen graute und sich immer noch nichts tat, beruhigte sich Febréze selbst. Die Soldaten aus Pellegrues Trupp waren in einen todesähnlichen Schlaf gefallen.
Trotzdem blieb Febréze wachsam. Fünfundzwanzig Leute hatte er mit Mervilles Patrouille verloren,
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