Im Bann des roten Mondes
Wüstensand tat es auch. Nicht einmal in der Nacht nahmen sie ihre Schleier ab. Und selbst die Waffen behielten sie am Körper. Mit Schaudern bemerkte Désirée blitzende Dolche an den wehenden Gewändern.
Sie wartete, bis das Feuer heruntergebrannt war und die Krieger in tiefem Schlaf lagen. Es gab keinerlei Wache. Sie schienen sich sehr sicher zu fühlen.
Bevor die Kälte der Nacht zu sehr in ihre Glieder kroch, befreite Désirée sich aus ihren Decken, die sie um den Körper gewickelt hatte. Sie hatte sich etwas abseits von den Männern hingelegt. Eine Weile beobachtete sie die schlafenden Gestalten, die wie dunkle Bündel verstreut im hellen Wüstensand lagen. Keiner regte sich, einige schnarchten leise. Ab und zu vernahm sie ein leises Knurren der Kamele.
Sie warf einen Blick zum Himmel. Der Nachthimmel über der Wüste war immer wieder faszinierend. Bereits in Arabien hatte sie das festgestellt. Die Luft war klar und rein, die Sterne funkelten wie tausende Diamanten. Die Schwärze der Nacht legte sich wie ein weiches Tuch über die Erde. Trotzdem war es nicht gänzlich dunkel. Schemenhaft waren die Konturen der Dünen zu erkennen, das ersterbende Feuer glomm dunkelrot zwischen den Steinen, und die Tuareg-Krieger lagen immer noch in tiefer Ruhe unter ihren Decken.
Auf allen vieren kroch Désirée zu einem der Kamele. Es trug zwei Ziegenbälge am Sattel, die am vollsten mit Wasser gefüllt waren. Das Tier stand und blickte mit einem fast verächtlichen Blick aus seinen großen dunklen Augen auf sie herab. Désirée überlegte kurz. Aufsteigen konnte sie auf das Tier nicht. Aber sie wollte es auch nicht zwingen sich hinzuknien. Wahrscheinlich würde es ungnädig brummen, und das könnte die Männer wecken. Sie kraulte es am Hals und ergriff langsam den kordelartigen Zügel.
»Komm«, lockte sie es. »Komm mit.« Das Kamel blieb, wo es stand. Es bewegte nicht einmal den Kopf. Désirée zog etwas stärker am Zügel. Das Kamel knurrte drohend. »Himmel, nun sei doch nicht so störrisch«, flüsterte sie. Endlich schien es sich’s zu überlegen und setzte ein Bein vors andere. Diese Bewegungen waren unglaublich langsam, als hätte es alle Zeit der Welt. Es kostete Désirée Kraft, das Tier hinter sich herzuziehen. Sie führte es in den Schatten der Düne. Ein leichter Wind wehte und trieb die Sandkörnchen wie ein zarter Schleier an der Oberfläche der Düne entlang. So bewegten sie sich Zentimeter um Zentimeter, aber unaufhaltsam vorwärts. Es war eines der Wunder der toten Wüste, die doch auf seltsame Weise lebte.
Lautlos tappte das Kamel auf seinen Ballensohlen, den Kopf immer noch majestätisch erhoben, als erweise es Désirée lediglich eine Gnade, ihr zu folgen. Als sie sich in sicherer Entfernung zu den Tuareg glaubte, versuchte sie das Kamel zum Niederknien zu zwingen. Das Tier stieß einen unwilligen Knurrlaut aus, der ziemlich drohend klang. Seine hellen Plüschohren wackelten ungeduldig, und die lange Oberlippe bewegte sich hin und her. Désirée bemühte sich, respektvollen Abstand zu halten, damit sie nicht gebissen wurde. Je mehr Désirée am Zügel zog, umso nervöser wurde das Tier. Und mit einem lauten Grunzen ließ es sich endlich auf die Knie nieder.
Aufatmend kletterte sie in den wackeligen Sattel. Er war vor dem Höcker festgezurrt. Ein Halsriemen, in den eigentlich ein Fuß gesteckt wurde, gab dem Sitz zusätzliche Sicherheit. Doch Désirée trug Schnürstiefel, die das verhinderten. Sie hatte viel zu viel Angst vor Schlangen und Skorpionen, als dass sie auf die Stiefel verzichtet hätte. Es würde auch so gehen. Mit einem energischen Klopfen gegen die Flanke des Kamels forderte sie es auf, sich zu erheben. Mit einem empörten Schrei sprang das Tier auf, zuerst mit den Hinterbeinen, dann mit den Vorderbeinen. Désirée wurde zunächst unsanft nach vorn geschleudert, dann nach hinten. Sie hatte keine Möglichkeit, sich nach der Himmelsrichtung zu orientieren, denn das Kamel setzte sich sofort in Bewegung. Verzweifelt hielt Désirée sich mit einer Hand am Sattelkreuz fest, mit der anderen zog sie am Zügel, um das Tier zu stoppen. Doch es hatte seine ureigensten Vorstellungen. Mit einer kleinen, eleganten Bewegung entledigte es sich der unbequemen Reiterin und trabte dann laut grunzend davon, genau in Richtung des Tuareg-Lagers. Désirée fand sich im Sand wieder und konnte nur noch hinterherschauen, wie das Kamel hinter der Düne verschwand.
»Verdammtes Vieh«, schnaufte sie.
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