Im Bann des roten Mondes
ledernen Schnürstiefel, die ihre Füße zusammenpressten. Der Sand, der sich hineingeschmuggelt hatte, rieb unerträglich.
Hinter einer lang gestreckten sichelförmigen Sanddüne stoppte die Karawane, und die Reiter saßen ab. Désirée nahm alles nur noch verschwommen durch ihre entzündeten, brennenden Augen wahr. Halb ohnmächtig kippte sie aus dem Sattel. Einer der Männer zog sie in den Schatten der Düne auf eine eilig ausgebreitete Decke. Sie spürte etwas Feuchtes auf den Lippen und ihrem Gesicht. Alles in ihr glühte wie der erhitzte Wüstensand. Die Männer sprachen leise miteinander. Aufstöhnend ließ sie sich auf die Matte sinken und beschloss, sich nie wieder zu bewegen. Im Unterbewusstsein nahm sie brenzligen Geruch wahr. Die Männer hatten ein kleines Feuer entfacht, um das sie sich nun im Kreis hockten und eine Mahlzeit zubereiteten. Niemand kümmerte sich mehr um sie.
Désirée rollte sich auf die Seite und blieb zusammengekrümmt liegen. Aus den Lidspalten heraus beobachtete sie die Männer. Sie kochten in einem flachen Topf einen Brei, der unappetitlich aussah. Dann reichten sie den Topf herum, jeder schaufelte sich mit einem eigenen Holzlöffel etwas heraus, dass er sofort verzehrte und reichte den Topf weiter. Nicht einmal beim Essen nahmen sie den Schleier ab, sondern wandten das Gesicht ab, um irgendwie den Löffel darunterzuschieben.
Vielleicht sehen sie ganz abscheulich aus, dass sie selbst ihren Feinden und Gefangenen ihre Gesichter nicht zu zeigen wagten, mutmaßte Désirée. Ihr Magen krampfte sich vor Hunger zusammen, gleichzeitig wurde ihr übel. Sie hatte nicht erwartet, dass sie etwas zu essen bekam. Diese Männer waren hochmütig und herzlos, und sie war nur eine unbedeutende Frau. Sie war zu schwach, um Zorn zu empfinden.
Die Tuareg hatten ihre Mahlzeit beendet und bereiteten den Tee zu. Der aromatische Minzgeruch, der zu Désirée herüberwehte, nahm ihr fast das Bewusstsein. Sie schreckte zusammen, als eine dunkle Gestalt plötzlich vor ihr stand, sich zu ihr herabbeugte und ein dickwandiges Glas mit Tee reichte. So gern sie nach dem Glas gegriffen hätte, ihre Glieder versagten ihr den Dienst. Ohne Umschweife schob er seinen Arm unter ihren Rücken und hob sie etwas an. Dann führte er das Glas an ihre Lippen.
»Erst ausatmen, dann trinken«, hörte sie die Stimme des Anführers. Sie schaute auf und blickte in seine Augen. Sie wollte atmen, aber es fiel ihr unendlich schwer. Das innere Feuer schien sie zu verbrennen.
Der Tee belebte ihre Lebensgeister. Gierig trank sie das Glas aus und ließ sich ein zweites einschenken. Ein anderer Krieger brachte ihr eine Schüssel mit Hirsebrei, in dem ein Holzlöffel steckte. Dann setzten sie sich alle ans Feuer und kümmerten sich nicht mehr um Désirée.
Sie schwankte zwischen Aufbegehren und Schwäche. Zunächst wollte sie den Brei nicht anrühren, besann sich dann aber eines anderen. Ein Plan keimte in ihr auf. Die Kamele standen in der Nähe, nur mit einem schlichten Strick an den Vorderbeinen gefesselt. Es würde ihr keine Mühe bereiten, den Knoten zu lösen. Sie musste versuchen zu fliehen. Mit einem Kamel war es immerhin möglich. Doch dazu brauchte sie Kraft.
Mit geschlossenen Augen stopfte sie den Hirsebrei in sich hinein. Er wurde immer mehr im Mund und schmeckte mehlig und salzig. Sie zwang sich, die ganze Schüssel zu leeren, und trank dann ausreichend brackiges Wasser aus einem der Ziegenschläuche. Dabei glitten ihre Augen prüfend über die Kamele. Fast alle trugen noch ihre Sättel und auch die Wasserschläuche. Einige hatten sich hingelegt, die meisten jedoch standen und kauten auf ausgedörrten Zweigen herum. Bessere Voraussetzungen für eine Flucht konnte sie nicht bekommen. Außerdem hatte sie sich eingeprägt, wo die Sonne untergegangen war. In diese Richtung musste sie flüchten.
Sie ignorierte das Brennen ihres Körpers. Die anbrechende Nacht brachte Kühle. Sie hockte sich wieder an ihren alten Platz. Ein Tuareg-Krieger kam, warf ihr ein Bündel Decken hin und nahm das benutzte Geschirr mit. Dann hockten sie wieder im Kreis um das Feuer und unterhielten sich leise. Einige legten sich zum Schlafen hin, nachdem sie ihr Gebet verrichtet hatten. Désirée fiel auf, dass sie mehr pflichtbewusst als überzeugt beteten. Zumindest waren sie wohl doch Moslems, und damit kannte sich Désirée aus. Die rituelle Waschung vollzogen sie mit Sand statt mit Wasser. Auch konnte sie keine Gebetsteppiche entdecken, der
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