Im Bann des roten Mondes
Ich wurde von diesen Männern entführt ...«
Die beiden Frauen wichen zurück und starrten sie aus großen Augen an. Désirée fiel auf, dass sie beide im Gesicht bemalt waren. Verschiedenfarbige Zeichen zierten Wangen und Stirn. Die Lippen waren mit einer dunklen Farbe geschminkt.
Ihr Schmuck war bemerkenswert. Er schien mehr als nur Zierde zu sein und ebenso eine Bedeutung zu haben wie die Zeichen auf der Haut. Dann verließ die Jüngere das Zelt, während die Ältere unbeweglich sitzen blieb. Als sich die Zeltwand wieder hob, trat ein Mann ein. Ohne Zweifel war es der Anführer, der sie gefangen genommen hatte, auch wenn sie eigentlich nichts erkennen konnte. Er trug das Gesicht verschleiert, die lange Gandura und Sandalen. Er begrüßte die ältere Frau sehr respektvoll und voller Wärme. Das war trotz seiner Verschleierung ersichtlich. Seine Begrüßung wurde auf ebensolche Weise erwidert. Hinter ihm betrat die junge Frau wieder das Zelt.
Er setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Teppich, legte seine Arme locker auf die Knie und betrachtete Désirée lange und eingehend.
»In deinem Herzen weht der Wind der Unruhe«, ließ er sich schließlich vernehmen.
Sie starrte ihn verständnislos an. »Bitte was?«
»Du hast eine Frage?«
»Allerdings!« Désirée richtete sich wieder auf und verzog das Gesicht schmerzhaft. Auch diese Geste tat weh. »Wo bin ich hier?«
»In der Oase Zaouatanlaz.«
»Eine Oase, so, so. Und wer sind diese Leute?«
»Es sind Leute meines Stammes.«
»Was haben Sie mit mir vor?«
Er schwieg einen Moment. »Ich warte, bis du gesund bist.«
»Ach!« Sie war überrascht. »Ich dachte, ich bin Ihre Gefangene.«
»Ja, das bist du.«
»Und wer sind Sie, dass Sie es wagen, mich einfach zu entführen?«
»Ich habe dich nicht entführt. Ich habe dich gerettet. Du wärst in der Wüste gestorben.«
»Mich gerettet! Ich nenne es schlichtweg Entführung. Aber ich fürchte mich nicht.« Dabei zitterte sie vor Angst.
Der Mann erhob sich. Er schien verärgert, aber das konnte Désirée an seinem Gesicht nicht erkennen. Nur seine Augen funkelten zornig.
»Ich achte eine Frau, auch wenn das Fieber ihren Geist verwirrt hat und ihre Zunge bittere Worte spuckt. Du befindest dich im Zelt meiner Mutter, und du bist ihr Gast.«
Sie verspürte einen Stich in der Herzgegend, eine Art schlechtes Gewissen. Doch sie bemühte sich, es sich nicht anmerken zu lassen. Dieser Krieger hätte es ihr sicher als Schwäche ausgelegt.
Doch als er gegangen war, erfasste sie eine Schwäche, die ihren Körper und ihren Geist lähmte. Sie lag umhüllt von einem gnädigen Nebel, der ihr den Schmerz nahm. Manchmal drangen leise Stimmen an ihr Ohr, doch so fern und unbestimmt wie von irgendwelchen unwirklichen Wesen. Manchmal schlief sie ganz fest, dann wieder trieb sie an die Oberfläche des Bewusstseins, sie freute sich, als sie etwas trank, und erbrach sich, als sie etwas zu essen bekam. Sie schämte sich dafür, aber zum Glück umhüllte sie wieder dieser seltsame Nebel, der sie vor allem Äußeren schützte. Und dann erwachte sie endgültig und blickte sich verwundert um. Ihr Körper war schwach und gehorchte ihr nicht richtig, aber sie fühlte, dass ganz in ihrem Inneren eine Kraft keimte, die nur Zeit brauchte zum Gedeihen.
Eine Frau kniete sich neben ihr Lager und reichte ihr eine Schale zu trinken. Mühsam versuchte Désirée sich aufzurichten. Jemand schob ihr ein Polster unter den Rücken. Gierig trank sie den mit Honig gesüßten Tee, und die junge Frau zog ihr mehrmals die Schale von den Lippen. Dabei sprach sie auf Désirée ein, in beruhigendem Ton, aber in einer Sprache, die Désirée nicht verstand. Dieses bemalte Gesicht kam ihr bekannt vor, und Désirée überlegte krampfhaft, woher sie die Frau kannte. Und dann fiel es ihr plötzlich wieder ein. Der blaue Krieger, böse Worte, das Zelt seiner Mutter. Seine Mutter?
Die Frau war jung und sehr schön, anmutig und sanft. Und wenn sie lächelte, zeigte sie zwei Reihen ebenmäßiger Zähne, die wie Perlen schimmerten. Sie lächelte viel, wenn sie Désirée umsorgte. Manchmal sagte sie etwas zu ihr. Désirée gab das Lächeln zurück. Ihre Hände lagen auf einer dicken Wolldecke, mit der sie zugedeckt war. Die Decke schützte sie vor der Kälte der Nacht. Im Zelt gab es kein wärmendes Feuer. Nur draußen, einige Schritte vor dem Zelt, glomm tags ein kleines Feuer, das abends richtig entfacht wurde. Dann bereiteten die Frauen das Essen zu.
Langsam
Weitere Kostenlose Bücher