Im Bann des roten Mondes
wechselten sich die Frauen in der Rolle der Vorsängerinnen ab, während die anderen im Chor einfielen.
Die Männer fingen an zu tanzen. Die anderen umstanden sie im Kreis und feuerten sie an. Die Tänzer zeigten ihr Können mit gewagten Sprüngen und schnellen Schrittfolgen. Von den Frauen wurden sie frenetisch mit trällernden Lauten bejubelt.
Einige Männer trugen Sprechgesänge vor. Désirée vermutete, dass es sich um Dichtkunst handelte. Wenn sie doch nur mehr von der Sprache verstehen könnte! Aber außer Zucker, Ziegenkäse und großer Bruder wusste sie so gut wie gar nichts.
Aissa setzte sich neben Désirée und lauschte der Musik und den Deklamationen. Ein seliges Lächeln legte sich über ihr Gesicht. Dann erklang wieder Lachen.
Es dämmerte, und dann senkte sich ziemlich schnell die Dunkelheit über die Wüste. Aber das große Zelt, in dem diese seltsame Feier stattfand, schien von innen zu leuchten. Nicht nur das Feuer davor, sondern auch kleine Tonschalen mit brennendem Ziegenfett leuchteten es hell aus.
Kein Zweifel, die prächtig herausgeputzten Männer und Frauen flirteten miteinander!
Die Erkenntnis erschütterte Désirée. Sie kannte die strengen Moralvorstellungen des Islam. Die hatten ihre Begeisterung für die Exotik schon seit einiger Zeit gedämpft. Doch hier schien alles ganz anders zu sein.
»Was tun die da?«, fragte sie Aissa. Ach ja, Aissa konnte sie ja nicht verstehen! Sie zeigte auf das Zelt und blickte Aissa fragend an.
» Ahâl «, sagte Aissa.
» Ahâl? Was ist das?«
Aissa überlegte, dann hob sie die Zeigefinger beider Hände, ließ sie sich voreinander verbeugen, sich annähern, entfernen, als sprächen oder tanzten sie miteinander. Dann schlang sie ihre Arme um sich selbst und wiegte sich hin und her.
»Was ... was soll das sein? Liebe?« Sie wiederholte Aissas Geste.
Aissa nickte. Dann zeigte sie auf ein Paar, dass in der Dunkelheit nur schemenhaft zu erkennen war. Es war ein Mann, der eine Frau an der Hand hielt. Beide eilten lachend aus dem Zelt und verschwanden zwischen den Dünen.
Désirée stieß einen leisen, überraschten Pfiff aus. »Das ist tatsächlich mehr, als ich erwartet habe«, murmelte sie. Gleichzeitig drückte etwas ihren Hals zusammen. Arkani befand sich noch dort im Zelt! Sie wartete darauf, dass er auch mit einer Frau an der Hand herauskam und zwischen den Dünen verschwand. Sie wusste nicht, was sie daran ärgerte, aber sie wünschte sich, dass er es nicht tun würde.
Wieder erklang das traurige Lied der Geige mit seiner immer wiederkehrenden, schlichten Tonfolge, das ganz im Gegensatz zu der lustigen, zwanglosen Runde der Männer und Frauen stand.
Leise erhob sich Désirée und verschwand im Zelt. Aus einem ihr unerfindlichen Grund wollte sie nicht mit ansehen, wie diese Menschen miteinander fröhlich waren. Sie warf sich auf ihr Lager, drückte das Gesicht auf ein Lederkissen und ließ ihren Tränen freien Lauf.
XVII
Die Morgensonne vertrieb langsam die eisige Kälte der Nacht, von draußen klang das geschäftige Schwatzen der Frauen ins Zelt, die vom Melken der Ziegen und Kamele kamen.
Mit steifen Gliedern wühlte Désirée sich unter den Decken hervor. Sie hatte schlecht geschlafen. Noch im Traum verfolgte sie die Musik der Geige und das Lachen und Scherzen der Männer und Frauen. Sie wünschte sich insgeheim, an so einem seltsamen, aufregenden Fest teilzunehmen. Und sie hätte sich ebenso gewünscht, dass jemand mit ihr flirtete, scherzte, lachte, sich um ihre Gunst bemühte, jemand ganz Bestimmtes ...
Im gleichen Augenblick wurde sie ärgerlich. Dieser stolze Mann in seiner blauen Gandura hatte ihr ja total den Kopf verdreht. Den aber brauchte sie jetzt dringend, und zwar klar und schmerzfrei.
Sie trat vor das Zelt und blinzelte in die Morgensonne. Dann reckte und streckte sie ihre steifen Glieder.
» Essalamou alaikoum , guten Morgen!«
Sie fuhr herum. Arkani stand hinter ihr und hielt eine flache Schale in der Hand.
»Guten Morgen«, erwiderte sie mürrisch.
»Ich sehe, du hattest keine gute Nacht und keinen erholsamen Schlaf«, stellte er fest.
Die Unmutsfalte auf ihrer Stirn vertiefte sich. »Ganz recht«, erwiderte sie. »Die Musik war so laut, das Lachen, das ... na ja, eben das ganze Fest.«
Er hob ein wenig die Augenbrauen. »Weißt du, was das für ein Fest war?«
»Woher soll ich das wissen? Offensichtlich hält es keiner für nötig, mir hier irgendetwas zu erklären.«
»Dann musst du unsere Sprache lernen.« Er
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