Im Bann des roten Mondes
untergeschlagenen Beinen, über die sich in gefälligen Falten seine Gandura legte. Seine Hände lagen locker auf den Knien. Désirée bewunderte ihn, wie elegant er in der für sie unbequemen Stellung saß. Sie bewunderte die selbstverständliche Leichtigkeit seiner Bewegungen, die Sicherheit in seinem Auftreten, die Ausgeglichenheit seines Wesens.
»Ich kenne die Wüsten Arabiens, Syriens, Tunesiens, Ägyptens«, sagte sie leise, als befürchtete sie, mit ihrer Stimme den Zauber des Augenblicks zu zerstören. »Jede Wüste ist anders: Die eine ist eine Unendlichkeit aus gelbem Sand, die andere ein gigantisches Gebirge aus Fels und Stein. Auch ich habe Respekt vor ihr. Aber ich habe mich nicht von ihr bezwingen lassen. Jede Wüste birgt Geheimnisse in ihrem Herzen. Mein Vater versucht, diese Geheimnisse zu lüften. Ich helfe ihm dabei.«
Er schaute sie nachdenklich an. »Sehr ungewöhnlich«, stellte er dann fest.
»Für eine Frau?«
Er schüttelte sacht den Kopf. »Für einen Menschen, der nicht in der Wüste geboren ist. Die meisten Menschen fürchten die Wüste oder betrachten sie als einen Feind. Man muss sie lieben, um ihr Herz erkennen zu können.«
»Ich weiß nicht, ob mein Vater die Wüste liebt. Und ich habe mir die Frage noch nie gestellt. Aber in mir schlummert der Wissensdurst, mehr über die Völker zu erfahren, die vor uns ihren Fuß auf diese Erde gesetzt haben. Das war auch der Grund, der meinen Vater hierher führte.«
Er schwieg und senkte den Blick. Désirée betrachtete ihn gedankenversunken und wusste, dass sie diesen Anblick nie vergessen würde.
»Geben Sie mich frei, damit ich meinen Vater suchen kann.«
»Wo die Geister sind, nehmen sie die Seele gefangen. Es ist kein guter Ort, um auf die Suche zu gehen. Ich glaube nicht, dass dein Vater noch am Leben ist. Und ich kann dich nicht freilassen.«
Ihr Herz begann wieder heftiger zu klopfen, und sie warf ihm einen flehenden Blick zu. »Was hindert Sie daran?«
Er atmete tief durch und erhob sich, während er sich mit einer anmutigen Bewegung den Schleier wieder übers Gesicht zog. Nur seine grauen Augen mit den goldenen Punkten schauten sie durchdringend an.
»Wenn man befürchtet, den Verstand zu verlieren, flüchtet man sich in Träume.«
Er ging davon und ließ sie auf dem Boden sitzen. Er brauchte sie nicht zu fesseln. Sie war Gefangene der Wüste – und seiner Augen.
I
Die Männer hatten sich ein Stück außerhalb der Oase zur djemaa versammelt. Es ging um die Fremde. Dass sie keine gewöhnliche Gefangene war, das war allen Männern der djemaa klar. Auch wenn ihre Gesichter verschleiert waren, so stand ihnen der Ernst der Situation im Blick.
»Sie bringt Probleme«, sagte der Amenokal Ahitarel, ohne sich direkt an Arkani zu wenden. Obwohl Arkani sein Sohn war, so hatte er keinerlei Vorrechte und war dem Wohl des ganzen Stammes verpflichtet. Und dieses Wohl sah Ahitarel nun gefährdet.
»Sie ist eine Gefahr«, bekräftigte Akhamouk.
»Was kann eine einzelne Frau uns antun?«. Arkanis Stimme blieb ruhig, obwohl er innerlich erregt war.
»Was sie dir antut, das weiß ich nicht, aber sie lockt die Fremden an, die sie suchen werden.«
»Hätte ich sie in der Wüste sterben lassen sollen?«, ereiferte sich Arkani.
»Besser jedenfalls als, eine Spur auszulegen. Die Franzosen sind wie die Schlangen. Sie kriechen überall herum, bemächtigen sich der besten Landstriche und unterdrücken die angestammten Völker.«
»Nur die Kabylen und die Harratin im Norden, weil sie auf ihr fruchtbares Land aus sind. Aber wir sind keine Sklaven des Ackers. Der Hoggar gehört den Ihaggaren. Die Franzosen können mit dem Hoggar nichts anfangen.«
»Vielleicht nicht mit dem Hoggar, aber mit der Fremden. Es könnte Krieg geben.«
»Die Ihaggaren fürchten sich nicht vor dem Krieg.« Menahil erhob sich und zog sein Schwert. »Sollen sie kommen, die Fremden, wir werden sie würdig zu empfangen wissen.«
Der Amenokal hob beschwichtigend die Hände. »Du vergisst, dass sie die Waffen der Feiglinge tragen.«
»Ein Amajer fürchtet sich nicht vor Feiglingen«, widersprach Menahil. »Sind unsere Schwerter nicht gefürchtet? Lähmt nicht die Angst vor den blauen Kriegern jede Karawane?«
»Was redet ihr von Krieg und Schwertern und Feiglingen?«, ergriff Arkani wieder das Wort. »Die weiße Frau will uns weder etwas Böses antun noch will sie überhaupt bei uns bleiben. Sie ist auf der Suche nach ihrem Vater, der auf einer Expedition in den Hoggar
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