Im Bann des roten Mondes
wanderten in eine falsche Richtung. Vielleicht waren es die bösen Geister, die ihr Vater aufgeschreckt hatte und nun seine Gedanken verwirrten. Er sollte dafür sorgen, dass Désirée ihren Vater fand und mit ihm in das ferne Frankreich zurückkehrte, dann würde auch Arkani seinen Frieden wiederfinden. Und bis dahin ...
Er beschloss am Abend den ahâl1 zu besuchen. Das würde ihn ablenken und zerstreuen.
Von ihrem Platz vor dem Zelt beobachtete Désirée wiederum unbekannte Vorgänge. Irgendein Ereignis schien die träge Beschaulichkeit des Dorfes zu durchbrechen. Sie konnte jedoch nicht entdecken, was es war. Die Frauen und ein Teil der Männer gingen wie gewöhnlich ihrer Arbeit nach, versorgten die Esel, molken die Ziegen und bereiteten das Abendessen. Andere jedoch, sowohl Frauen als auch Männer, gerieten in geheimnisvolle Geschäftigkeit. Sie kleideten sich in ihre schönsten Gewänder, legten Schmuck an, die Frauen schwatzten und kicherten, und selbst die sonst so würdevoll erscheinenden Männer hatte eine seltsame Nervosität erfasst.
Gäste trafen ein auf festlich herausgeputzten Kamelen und Eseln. Es waren Leute aus anderen Dörfern und Lagern. Jedenfalls hatte Désirée sie noch nie gesehen. Auch sie waren prächtig gekleidet. Vielleicht fand eine Hochzeit statt. Sie hätte gern Arkani danach gefragt.
Désirées Augen suchten Arkani. Seit sie in sein Gesicht gesehen hatte, konnte sie keine innere Ruhe mehr finden. Arkani war unbeschreiblich schön. Und sein Antlitz zeigte, was sie bislang nur durch den blauen Schleier hindurch gespürt hatte: eine hoheitsvolle Würde, verbunden mit einer charismatischen, anziehenden Ausdruckskraft. Sie bedauerte nur, dass die Männer sich offensichtlich ständig verschleierten, sogar im Schlaf. Wahrscheinlich war überhaupt nichts dran an den dummen Gerüchten, sie würden sich verschleiern, weil sich darunter die Fratzen des Teufels befanden. Wenn alle Teufel so aussähen wie Arkani, dann wünschte Désirée sich in die Hölle!
Auch Arkani war von dieser sonderbaren Betriebsamkeit erfasst. Als er aus dem Zelt trat, trug er eine reich bestickte Gandura. Selbst die weite Hose, die sich an den Knöcheln verengte, wies an den Seitennähten Stickereien auf. Sein tugulmust war sorgfältig gewickelt, auf seiner Brust klimperten silberne Amulette an langen Lederbändern.
Désirée verschlug es fast den Atem, als sie ihn so sah. Etwas unschlüssig stand er vor dem Zelt und schaute sich um. Zögerlich erhob sie sich. Sie musste zugeben, dass sein Aussehen sie beeindruckte.
Hinter ihr wurde der Zelteingang hochgeschlagen, und Tedest erschien, ebenfalls in ein schönes Gewand gekleidet. Allerdings vermisste Désirée die ornamentalen Stickereien, die Arkanis Gewand zierten. Vielleicht war es das Symbol seiner Königswürde, überlegte Désirée. Aber dann sah sie andere Männer, die ebenfalls bestickte Ganduras trugen. Die Übergewänder der Frauen waren schmuckloser. Dafür trugen sie schleierähnliche Stoffbahnen auf dem Kopf und ebenfalls überreichlich Silberschmuck. Alle strebten einem großen Zelt zu. Manche Männer und Frauen trugen Musikinstrumente, so auch Tedest. Wahrscheinlich würde sie auf dieser seltsamen Geige spielen.
Bestimmt fand dort die Hochzeit statt. Désirée wollte ebenfalls hinzueilen, doch Aissa hielt sie am Handgelenk fest. Mit Gesten bedeutete sie ihr, dass sie nicht hingehen solle.
»Aber warum nicht?« Désirée tippte auf ihre Augen. »Ich will doch nur zuschauen.«
Aissas Blick zeigte eine eigenartige Mischung aus Scham und Entschlossenheit. Es schien ihr unangenehm zu sein, Désirée etwas zu verwehren. Andererseits geboten wohl die Sitten des Volkes, dass kein fremdes Auge es sehen sollte. Doch was? Aissa zeigte wieder auf den Teppich vor dem Zelt. Widerstrebend ließ Désirée sich darauf nieder. Aus dieser Ferne beobachtete sie das Treiben, soweit das überhaupt möglich war. Bereits auf dem Weg zu dem großen Zelt, dem größten des Dorfes und erst vor einem Tag von einer großen Zahl Sklaven aufgestellt, präsentierten sich die Männer wie Pfauenmännchen, gingen besonders langsam, um von den Frauen beachtet zu werden. Diese warfen ihnen scherzhafte Bemerkungen zu und lachten.
Auf einmal erklang Musik. Es waren wieder die eigentümlich melancholischen Klänge, die einer einsaitigen Geige entlockt wurden. Diese Geige wurde von Tedest gespielt, und die Männer lauschten ihr aufmerksam. Eine andere Frau begann ein Lied zu singen. Dann
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