Im Bann des roten Mondes
blinzelte durch den winzigen Sehschlitz, den sie gelassen hatte. Sie beobachtete die Männer, wie sie das kleine Lager für die Nacht aufbauten. Einige flickten die Ledertaschen und Zaumzeug, das zerrissen war, entfernten den Sand aus den Packtaschen und den Decken und überprüften die Lebensmittel. Désirée bemerkte, dass die Wasserschläuche recht flach geworden waren. Während ihrer Reise hatten sie nicht einmal einen Brunnen gesehen, um die Wasservorräte aufzufüllen. Auch hatten sie Menahils Leichnam mit dem Trinkwasser gewaschen! Dieser Umstand beunruhigte sie plötzlich. Sie wollte Arkani darauf hinweisen.
Ihre Kräfte reichten jedoch nicht, um sich zu erheben. So blieb sie sitzen mit dem Gefühl, langsam zu mumifizieren. Sie stellte sich als lederne Mumie vor, mit spitzem Kinn und grinsendem Schädel, den faltigen Wasserschläuchen nicht unähnlich.
Die Männer hatten nichts Besseres zu tun, als ihre Kleidung zu richten und den tugulmust zu binden. Dabei gingen sie penibel vor und legten jede Falte mit besonderer Sorgfalt. Die Amulette wurden wieder befestigt, und die Männer schmückten und spreizten sich, als ginge es um einen Schönheitswettbewerb.
Ein irres Kichern stieg in Désirée auf, das ihr Schleier verschluckte. In was für einer verrückten Welt lebte sie eigentlich? Sie waren gerade dem Tod entronnen, und die Männer hatten nichts anderes zu tun, als sich schön zu machen!
Erst als sie zwei Becher Tee getrunken hatte, meldeten sich ihre Lebensgeister wieder zurück, und ihr Gehirn fing an, normal zu funktionieren. Sie erhob sich und bewegte ihre steifen, schmerzenden Glieder. Ab und zu warf sie Arkani einen verstohlenen Blick zu. Jetzt, wo er wieder korrekt gekleidet und mit all seinen Amuletten geschmückt war, führte er sich auf wie vor dem ahâl . Doch wem wollte er imponieren? Nein, es galt nicht ihr. Es galt ihm selbst. Ihr Schönheitssinn gehörte zu ihrem Selbstverständnis, und selbst eine überstandene Lebensgefahr hielt sie nicht davon ab, ihm zu frönen. Was waren das für Männer?
Sie war zutiefst verwirrt, ein Gefühl, das ihr bislang fremd war. Im Umgang mit Männern konnte sie sich stets durch ihr Selbstbewusstsein behaupten. Sie bewegte sich in der Welt der Männer mit dem Selbstverständnis einer emanzipierten Frau. Dass sie ab und an gegen die gesellschaftliche Etikette verstieß, machte ihr nichts aus. Ja zuweilen provozierte sie diese Verstöße sogar. Sie fand die meisten Männer rückständig und patriarchalisch, auch die französischen und erst recht die arabischen. Doch Arkani war eine Ausnahme. Noch nie hatte sie so eine Mischung bei einem Mann erlebt. Er war unglaublich stolz, ja arrogant, ein König der Wüste. Andererseits verströmte er so viel Zartheit, Feingefühl und Feingeist, dass sie es kaum fassen konnte. Sie war Gefangene seiner Worte, seiner Gesten, seiner Stimme, seines Duftes, seiner Bewegungen, seines Körpers. Er war scharfsinnig und entschlossen, gleichzeitig sanft und bezaubernd. Sie spürte die Leidenschaft in ihm und seine Demut vor der Wüste, er behandelte die Meharis wie göttliche Wesen mit Hochachtung und zeigte trotzdem eine unglaubliche Gelassenheit, wenn er sie ritt, er lachte und plauderte unbeschwert mit Désirée, doch oft ertappte sie ihn, wie er sie nachdenklich und ernst anschaute. Trafen sich ihre Augen, dann schauten sie beide sofort weg, um sich gleich darauf wieder mit den Blicken zu suchen.
Er warb nicht um sie, zumindest nicht in der Art, wie es im ahâl üblich war. Sie dachte für einen Augenblick an Philippe und verspürte ein schlechtes Gewissen. Doch es zerstob im Wüstenwind und tanzte davon wie die Staubwirbel über den Dünen. Philippe war so weit weg. Und ihr Gefühl für ihn?
Etwas hatte sich geändert. Sie wusste nicht, wann es geschehen war. Sie wusste nur, dass es geschehen war. Sie tat ihr Bestes, um es sich nicht anmerken zu lassen. Aber der Klang ihrer Stimme, die zu hastigen Bewegungen, ihr ausweichender Blick, die übertrieben zur Schau gestellte Gleichgültigkeit verrieten sie.
Philippe! Sie musste an Philippe denken. Sie musste sich dazu und zu dem Gefühl des Schuldbewusstseins zwingen. Doch dann bestärkte sie sich selbst in der Entschlossenheit, nichts zu tun, was dieses Schuldbewusstsein noch nähren könnte. Und ihr wurde richtig elend dabei.
Langsam ging sie in die Wüste hinein, ein Stück weg vom Lager, aber immer noch in dessen Sichtweite. Dann setzte sie sich, schlug die Beine unter, wie
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