Im Bann des roten Mondes
unsere Welt kennen lernen willst.«
»Ich werde Krieg und Töten nie verstehen.«
»Manchmal muss es sein.« Er ließ sich wieder neben ihr nieder. »Das hat nichts damit zu tun, dass ich ein anderes Leben nicht achte. Im Gegenteil. Doch das harte Leben in der Wüste schreibt auch harte Regeln. Ohne diese Regeln könnten wir hier nicht überleben.«
Désirée kritzelte mit dem Finger Zeichen in den Sand, ohne dass sie sie sah. Waren es ihre Gedanken? Dann verliefen sie wirr wie ein Schlangenknäuel.
»Du sagtest, wenn er mich angreift, dann greift er damit auch dich an. Aber ich bin eine Fremde für dich, eine Gefangene. Nicht einmal eine Targuia. Menahil aber war ein Targui. Ist dir mein Leben mehr wert als seines?«
»Ich sehe, du hast gar nichts verstanden. Es geht nicht darum, ob du eine Targuia bist oder nicht. Übrigens würde niemand von uns dieses Wort benutzen.«
Sie schaute ihn durch die Dunkelheit hinweg an. »Nicht? Ist das nicht die weibliche Form für eine deines Volkes?«
»So, wie es die Araber sagen. Es bedeutet: die Ausgestoßenen. Wir leben da draußen, außerhalb der Welt der Menschen. Und von Gott verlassen. Wir selbst nennen uns Imuhar . Gott hat uns nicht verlassen. Er lässt uns in der Wüste überleben, weil er uns Geistesschärfe, Gewandtheit, aber auch die Wüste selbst gegeben hat. Die Wüste reinigt die Seele. Nirgendwo ist man Gott so nahe wie hier. Deshalb würden wir sie nie verlassen.«
»Das ist wirklich alles sehr kompliziert. Dabei dachte ich, dass das Leben in der Wüste einfach ist. Primitiv.«
»So denken die, die davon nichts verstehen«, erwiderte er ärgerlich.
Désirée schwieg. Dann jedoch hob sie den Kopf. »Arkani, was bin ich für dich? Gefangene? Sklavin? Geisel? Ungebetener Gast? Belastung?«
Auch Arkani schwieg eine Weile. »Das ist eine sehr direkte Frage«, antwortete er schließlich. »Und die ist sehr, sehr unhöflich.«
Er erhob sich und ging leise fort. Das empfand Désirée als sehr unhöflich. Ihre Finger krallten sich in den Sand. »Verdammt, Arkani«, flüsterte sie zornig, »warum können wir uns nicht verstehen?«
XXV
Der Sandsturm brach fast unmittelbar und sehr heftig über sie herein. Zuerst verdunkelte sich die Sonne hinter einem gelben Schleier, bis sie nur noch als ein milchiger Fleck am gelben Himmel zu sehen war. Die Dromedare wurden unruhig, blökten und warfen sich zu Boden. Arkani stoppte die Karawane.
» Tezakey, tezakey! «, schrien die Männer.
Désirée wurde unbehaglich zumute. Arkani hatte Recht gehabt. Nichts fürchtete sie mehr als die unberechenbaren Naturgewalten. Schon einmal hätte so ein verdammter Sandsturm beinahe ihr Leben gekostet. Und der rote Mond war ein böses Omen.
Sie hatten es nicht geschafft, in den Schutz der Felsen zu gelangen. Es blieb auch keine Zeit, ein Schutzzelt aufzubauen. Eine unheimliche Stille herrschte, als hielte die Wüste für einen Moment den Atem an. Dann brach der Sturm los. Es war ein ohrenbetäubendes Brüllen der entfesselten Naturgewalten. Sie wurden eingehüllt in eine gelbe Wolke aus Sand, die ihnen jegliche Sicht nahm. Die Sandkörner peitschten wie tausende von Geschossen auf die Haut. Der Schmerz machte Désirée wütend. Doch wie sie sich auch wand, die Körnchen krochen überallhin, in die Augen, die Nase, die Ohren, unter ihre Kleidung. Sie zog den Schleier über ihr Gesicht, doch zwischen ihren Zähnen knirschte es, und sie glaubte, ersticken zu müssen.
Die Dromedare wandten instinktiv den Kopf vom Wind ab. Sie konnten ihre Nüstern schließen und trotzten so der schrecklichen Pein. Désirée krümmte sich im Windschatten ihres Dromedars zusammen und bedauerte gleichzeitig das Tier, das sie als Schutzwall benutzte. Dann spürte sie etwas Dunkles über sich. Es war Arkani, der sich über sie beugte und tiefer in den Sand drückte. Er rief ihr etwas zu, aber es war ihr unmöglich, ihn zu verstehen. Das Brüllen des Sturmes steigerte sich. In Désirée kam Panik auf. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und davongelaufen. Arkani hielt sie mit festem Griff in der Deckung des Dromedars. Sie verlor jegliches Gefühl für Zeit. Die Todesangst breitete sich qualvoll aus. Die Sandkörner peitschten durch die Kleidung hindurch, fanden den Weg in alle Körperfalten und hüllten sie in eine lebensfeindliche Wolke ein. Sie hustete und spuckte, wimmerte und betete. Sie verteufelte alle Prüfungen und ihren wahnwitzigen Plan, ihren Vater zu suchen. Sie wusste, dass Gott, die Wüste, die
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