Im Bann des roten Mondes
überhaupt im Zusammenhang stand, aus ihrem Gehirn. Sie war hier, um ihren Vater zu suchen. Nur das allein war ihr Ziel, nur das allein war wichtig.
Ihre Augen schweiften hinüber zur Silhouette des Gebirges. Sie war sich nicht darüber im Klaren, wo sie zu suchen beginnen sollten. Sie würde sich auf die Tuareg verlassen müssen. Auf Arkani ...
Für den Rest dieser Nacht hatte sie keinen Schlaf gefunden. Im Dunkel sah sie die Gestalt ihres Vaters. Er war ein mittelgroßer, stattlicher Mann, der zu einer gewissen Körperfülle neigte. Sie kannte ihn nur mit seiner runden Brille, stets in einen unmodernen Anzug gekleidet, wenn er nicht gerade die Kleidung der Einheimischen trug, auf deren Boden er Ausgrabungen tätigte. Er war besessen von seinem Beruf, von seiner Leidenschaft auszugraben. Manchmal fragte sich Désirée, ob es die Jagd nach Ruhm, nach Anerkennung in der Fachwelt war oder ob er tatsächlich ein Herz für untergegangene Kulturen besaß. Auf jeden Fall hatte er dieses Feuer auch in Désirée geweckt. Sie ignorierte einfach den Verdacht, dass ihm genau das zum Verhängnis geworden sein könnte. So ein Mann wie ihr Vater hatte bislang alles überlebt. Er konnte einfach nicht gestorben sein.
Am nächsten Morgen vermisste Désirée die gewohnte Geschäftigkeit vor dem Aufbruch. Die Tuareg lagen noch in ihre Decken gewickelt oder saßen am Feuer, die Kamele ruhten in einiger Entfernung, ungesattelt und nur an den Vorderbeinen lose gefesselt.
Arkani stand an einem der Feuer und sprach mit den Männern, die davor hockten. Keiner von ihnen machte Anstalten, sich zu erheben. Désirée zwang sich, nicht hinzulaufen und zu fragen, was los sei. Sie würde es ohnehin erfahren.
Langsam drehte sich Arkani um und erblickte Désirée. Eine Weile standen sie sich so gegenüber. Aus dieser Entfernung jedoch war es ihr nicht möglich, in seinen Augen zu lesen. Sie ließ die lederne Packtasche, die sie in den Händen hielt, in den Sand fallen.
»Haben sie keine Lust?«, fragte sie schließlich.
Langsam kam Arkani näher. Wenige Schritte vor ihr blieb er stehen. »Sie weigern sich weiterzureiten.«
»Und warum?«
Er deutete mit dem Kopf zu dem Felsmassiv. »Dort wohnen die Geister.«
Sie folgte seinem Blick. »Aber sie wussten doch, dass wir hierher reiten«, wunderte sie sich.
»Sie hatten den Befehl, hierher zu reiten«, erwiderte er.
»Befehl? Von dir?«
»Nein, vom Amenokal.«
»Und warum verweigern sie sich nun seinem Befehl?« Sie verstand überhaupt nicht, was in den Köpfen dieser Männer vor sich ging.
»Die Geister sind mächtiger als der Amenokal.«
Ratlos blickte sie auf die Tasche. »Und was nun?«
»Wir beide werden allein weiterreiten.«
Plötzlich stand Touhami neben ihnen. »Herr, ich werde dich begleiten«, sagte er nur.
»Ich weiß, auch du fürchtest die kel essouf . Ich zwinge dich nicht, uns zu begleiten, es steht dir frei.«
Désirée betrachtete neugierig den jungen, dunkelhäutigen Sklaven, der ebenso wie die anderen Männer bis auf einen schmalen Sehschlitz verschleiert war. Er besaß schöne schwarze Augen, sanft und doch voller Leidenschaft. Sie verstand nicht die Worte, die die beiden Männer wechselten. Aber sie ahnte, dass auch er Angst vor den Geistern der Berge hatte. Und doch ...
Touhami blickte fast flehend zu Arkani auf. »Herr, ich würde es nicht überleben, dich in dieser Situation allein zu lassen. Dein Leben ist auch mein Leben. Ich fürchte die Geister, aber nicht so sehr wie, meine Ehre zu verlieren und dir nicht mit dem Herzen und meinem Leben gedient zu haben.«
Einen kurzen Moment legte Arkani seine Hand auf Touhamis Schulter. »So soll es sein«, sagte er schließlich.
Touhami eilte davon, um die Meharis zu satteln.
»Wird er mit uns kommen?«, wollte Désirée wissen.
»Éoulla«, erwiderte Arkani abgewandt. »Es ist sein Wille.«
Désirée schüttelte verständnislos den Kopf. Und da hatte sie geglaubt, diese Menschen endlich begriffen zu haben.
Stunde um Stunde ritten sie auf das Gebirgsmassiv zu. Es schien, als wachse es aus dem Wüstenboden heraus. Und dann befanden sie sich mittendrin. Dunkle Felswände umgaben sie, durchzogen von rötlichen Maserungen. Beklommen blickte Désirée in die Höhe. Das Gestein wirkte düster und bedrohlich. Jeden Augenblick erwartete sie, dass Dämonen und Fabelwesen von oben auf die drei einsamen Reiter herabstürzen würden.
Sie konnte nicht sehen, wie sich Arkani und Touhami fühlten. Scheinbar gleichgültig
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