Im Bann des roten Mondes
Beginn seiner Wanderschaft.«
»Er hätte wieder in sein Haus aus Stein zurückkehren können und ein bequemes Leben führen«, nahm Arkani den Faden der Geschichte wieder auf. »Aber die Sehnsucht des Nomaden in ihm war stärker als der Wunsch nach einem bequemen Leben. Er nahm den Rest seiner Herde und zog weiter. Fort aus der grünen Oase, fort aus dem fruchtbaren Wadi. Nicht das Ziel war für ihn wichtig, sondern der Weg dahin. Getrieben von der Unruhe eines ruhelosen Herzens wollte er seine Herde weitertreiben, immer weiter. Doch alle Wadis, die er erreichte, waren trocken, alle Brunnen vom Sand verschüttet. Nun verendeten auch die restlichen Tiere seiner Herde, eines nach dem anderen. Zum Schluss blieb ihm nichts als der Sand in seiner guerba .«
»Das ist eine traurige Geschichte«, sagte Désirée.
»Die meisten Geschichten sind traurig«, erwiderte er.
»Dann muss man daraus eine glückliche Geschichte machen. Als er fast schon am Verzweifeln war«, fuhr Désirée fort, »als Hunger und Durst ihm seine Sinne raubten, öffneten sich vor ihm die Dünen, und er erblickte eine wunderschöne Oase. Sie war so grün und voller Leben, wie er es noch nie gesehen hatte. Brunnen und Bäche gaben kristallklares Wasser, die Palmen rauschten im Wind und süße Datteln hingen zwischen ihren Wedeln. Fettes Gras wuchs auf den Weiden. Doch er besaß keine Tiere mehr, die das Wasser hätten trinken und das Gras hätten fressen können. Da wusste er, dass er am Ende seines Weges angekommen war.« Sie ließ sich hinterrücks in den weichen Sand sinken. Er gab die Wärme des Tages ab.
Arkani neigte den Kopf. »Wenn ein Nomade zur Ruhe kommt, dann kommt auch sein Herz zur Ruhe. Der Mann wollte nicht mehr weiterwandern. Er hatte das Paradies gefunden. Sein Herz wollte nicht mehr weiterschlagen. Ein Nomadenherz kann nur schlagen, wenn der Nomade wandert. Der Mann nahm sein Herz mit ins Paradies.«
Er legte sich neben Désirée in den Sand. Sie spürte seinen Körper neben ihrem, und es beruhigte sie. Er deutete zum Himmel. »Siehst du die beiden funkelnden Sterne? Das sind seine Augen, mit denen er auf dich herabschaut. Und darunter, dieses goldene Licht, das ist sein Herz.«
Sie lehnte sich an seine Schulter und weinte.
XXXI
Am nächsten Tag erreichten sie den geheimen See zwischen den Felsen. Désirée war entkräftet und erleichtert zugleich. Aman iman – Wasser heißt Leben. Zumindest würden sie nicht verdursten.
Sie richteten das Lager mit den wenigen Dingen, die sie noch besaßen. Drei Decken, das Teegeschirr, etwas Mehl und Zucker, einige getrocknete Datteln. Es würde höchstens für zwei Tage reichen, dann würden sie auch hungern müssen.
Zu dritt begaben sie sich zum Seeufer, Touhami trieb die Kamele. Arkani trat etwas abseits, um zu trinken. Désirée beobachtete erneut, wie er sich zum Wasser beugte, es in die hohle Hand nahm und andachtsvoll trank. Er wiederholte es zweimal, dann zog er sich den tugulmust wieder übers Gesicht. Selbst in dieser Einsamkeit, in dieser fast ausweglosen Situation bewahrte er seine Würde und den Anstand.
Désirée vermochte keine derartige Beherrschung aufzubringen. Sie lief bis zu den Knien ins Wasser, riss sich den Schleier vom Kopf und schüttete sich das Wasser über Gesicht und Hals. Dann trank sie von dem köstlichen Nass, bis sie ihren brennenden Durst gestillt hatte.
»Du bekommst Magenschmerzen vom kalten Wasser«, warnte sie Arkani, aber es war schon zu spät. Die Hitze des Fiebers verdampfte mit der Kühle des Wassers.
Sie kehrten zum Lager zurück, als die Kamele getrunken hatten. Touhami führte sie an eine Stelle, an der dürres Gras wuchs, und fesselte ihnen die Vorderbeine. Dann sammelte er Holz von den Büschen und verkrüppelten Tamarisken und entfachte ein Feuer.
Immer wieder warf Désirée Arkani fragende Blicke zu, aber er schien es nicht zu bemerken. Sie wusste nicht, wie sie jemals aus dieser Situation herauskommen würden. So verwunschen dieser See auch war, sie konnten nicht hier bleiben. Aber sie wusste auch nicht, wie sie es ohne Vorräte bis in die Oase zurück schaffen könnten.
Zunächst jedoch begann das allabendliche Ritual mit Fladenbacken und Teekochen. Es nahm eine geraume Zeit in Anspruch, in der Désirée zur Untätigkeit verdammt war. Sie hockte sich neben Touhami. »Darf ich dir helfen?«
Er schaute sie befremdet an. Dann ging sein fragender Blick zu Arkani.
»Er denkt, du bist mit seinen Kochkünsten nicht zufrieden«, sagte
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