Im Bann seiner Küsse
Herzschläge.
»Jacko!«, rief Johnny, der weiter vorne war. »Komm!«
Steif setzte Jack sich in Bewegung. Der winterharte Boden schnitt ihm in die nackten Füße. Scharfer Schmerz fuhr ihm bei jedem Schritt durch die Beine. Das Gewehr stieß ihm in den Rücken, Qualm stach in den Augen und raubte ihm die Sicht.
»Johnny, wo bist du?« Er blieb stolpernd stehen und ließ den Blick verzweifelt über das Schlachtfeld mit den Verwundeten und Toten wandern. Angst schnürte ihm die Kehle zu. »Johnny!«
Plötzlich schoss etwas aus dem Nebeldunst auf ihn zu und landete in seinen Armen. Warmes Blut spritzte über sein Gesicht. Jack warf einen Blick auf das Ding in seinen Armen und schrie auf. »Neiiiin ...«
Er schrie weiter, bis seine Stimme heiser und schwach war.
Er sank auf die Knie. Der Geruch nach Blut, frischem und geronnenem, verstopfte Kehle und Nase, Tränen brannten ihm in den Augen, bis er nichts mehr sehen konnte. Auch nicht die kalten, toten Augen seines Bruders.
»Jack ... du tust mir weh. Lass meine Hand los.«
Jack glaubte etwas zu hören. Er schlug die Augen auf. Sie waren schmerzhaft trocken, er konnte nicht richtig sehen. Kopfschmerz dröhnte in seinem Schädel.
Er sah in ein Gesicht. Erschrockene braune Augen schauten ihn durch eine Haarflut aus gesponnenem Gold an. »Jack, bitte ...«
Er zwinkerte angestrengt in dem Bemühen, den Blick zu schärfen. Die Augen veränderten sich subtil, verschwammen zu glasigen, toten grauen Kugeln, die ihn anklagend anstarrten. Johnny.
Angst fuhr ihm eisig in die Knochen. Er blickte wild um sich, aber die Welt war kalt und dunkel.
»Jack, Liebling, ich bin bei dir. Alles ist gut. Du bist in Sicherheit.«
Die Nacht explodierte unter Donnerschlägen. Jack erwachte mit einem Ruck. Entsetzen prickelte wie eisige, spitze Scherben durch seinen Körper und verkrampfte sich in seinem Inneren zu einem dicken Klumpen. Er sprang aus dem nassen Gras - oder war es sein Bett? - und landete taumelnd auf den Füßen.
Er blieb wie angewurzelt stehen. Sein Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren. Regen schlug gegen ein vertrautes Fenster. Wind rüttelte an der Scheibe.
Das Schlafzimmer, erkannte er. Er befand sich im Schlafzimmer. Mit einem erleichterten Aufseufzen riss er seine Hose an sich und zog sich an.
Als es zweimal knapp hintereinander blitzte, verwandelte sich das Fenster in einen gespenstischen Spiegel. Den Bruchteil einer Sekunde lang starrte Jack in sein eigenes gehetztes, erschrockenes Gesicht. Dann veränderte das Bild sich leicht, und er starrte in Johnnys tote, leblose Augen.
Es passierte wieder.
Die Dunkelheit kam. Er spürte, wie sie sich anschlich und erbarmungslos selbst die finsteren Schatten seines Bewusstseins durchdrang. Sie kam, um ihn mitzunehmen.
Er lief zur Tür und den Gang entlang durch die bedrohlichen Schatten des Hauses. Als er dem Küchentisch auswich, ertönte ein Donnerschlag, dass das Geschirr im Schrank klirrte und der Tisch ächzte.
Er blieb mit einem Ruck stehen. Im Licht des Blitzes sah er einen Augenblick lang wieder Johnnys Gesicht am Fenster. Bleich. Tot. Anklagend. Jacko, wo warst du? Ich brauchte dich, brauchte dich, brauchte dich ...
Angst drohte Jack zu verschlingen. Sein Herzschlag wurde zu einem betäubenden Tosen in seinen Ohren.
Er musste hier raus. Jetzt, ehe die Finsternis kam. Ehe er jemandem etwas antun konnte. Zitternd und keuchend griff er nach der Tür.
Jemand packte ihn am Arm. »Jack, bitte ...«
Beim Klang ihrer Stimme zuckte er zusammen. Verlangen durchschoss ihn in heißen, verzweifelten Wogen. Er schluckte schwer. Wenn er nur kehrtmachen und sie in die Arme nehmen und sie festhalten könnte, bis die Gefahr vorüber war, bis sie es geschafft hatte, sie zu bannen.
Vielleicht... wenn du darüber sprechen könntest. Ihre Worte bahnten sich den Weg in sein benebeltes Gehirn und mit ihnen ein starkes Verlangen. Er schloss die Augen und schüttelte die Fäuste. Oh Gott, wenn es nur so einfach wäre.
Er wollte mit ihr sprechen, verzehrte sich geradezu danach. Das Verlangen, es zu versuchen, lastete schwer auf seiner Brust. Wenn nur...
Aber er hatte es schon zuvor versucht.
Die Erinnerung traf ihn wie ein kalter Wasserschwall. Er konnte über seine Vergangenheit nicht Sprechen, konnte Wunden nicht wieder öffnen, die von den festen Fäden der Furcht zusammengehalten wurden. Wenn er ihr die Wahrheit über sich beichtete, würde diese Traum-Liebe ein Ende finden. Sie würde sich erinnern, warum sie ihn zuvor
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