Im Bann seiner Küsse
zu überlegen, war sie blitzschnell auf den Beinen gewesen und hatte das lächerliche Handtuch an ihren triefenden Körper gedrückt, als könne es ihr Schamgefühl schützen.
Sein Blick hatte sie angezogen, und sie hatte kraftlos der dunklen, hypnotischen Anziehungskraft nachgegeben. Sie wusste nun, dass nicht allein sein Schmerz oder seine Notlage sie anzog, sondern dass er ihr als Mann gefiel.
Zum ersten Mal hatte sie ihn nicht als Vater, als schmerzgeprüften Menschen oder als Gegner gesehen. Heute hatte sie ihn einfach nur als Mann gesehen. Und sie war nicht die pummelige, eingeschüchterte, taube Außenseiterin oder die Ersatzmutter seiner Kinder. Sie war nur eine Frau, die auf einen Mann zuging, der ihr gefiel.
Sie hatte sich mit einer Anmut bewegt, die sie zuvor nie besessen hatte, und ihr Blick war von einer verführerischen Kraft beseelt, wie sie ihr zuvor unvorstellbar gewesen war.
Und als sie ihn berührte - ein simples Gleiten von Haut über Haut, kaum einen Herzschlag lang -, hatte sie geglaubt, Feuer zu berühren.
Was war nur in sie gefahren? Sie wusste, dass er seine Frau hasste, hatte es von dem Moment an gewusst, als er sie zum ersten Mal angesehen hatte.
Aber jetzt wusste sie noch etwas. Etwas Gefährliches und Überraschendes, das ziemlich beängstigend war.
Er begehrte sie.
Noch beängstigender freilich war der Umstand, dass auch sie ihn begehrte.
»Mama!«
Ein schriller Ausruf riss Tess aus ihren Tagträumen. Sie blickte auf und sah Savannah und Katie, die auf sie zugelaufen waren und abrupt vor ihr anhielten.
»M-Mama«, sagte Savannah wieder und verdrehte den Metallhenkel ihrer Proviantbox. »Was machst du hier draußen?«
Katie stolperte in ihrer Hast, sich hinter den Röcken ihrer Schwester zu verstecken. Vorsichtig lugte sie hinter Savannah hervor.
»Ich weiß es nicht«, sagte Tess. »Es war so schön, dass ich vor dem Essen ein wenig an die frische Luft wollte.«
Savannah wurde kreidebleich. »Ich fange gleich an ...«
»Das Stew steht schon auf dem Herd.«
Die Mädchen schnappten nach Luft.
Tess lachte. »Wie es schmeckt, weiß ich nicht, aber ich wollte mich unbedingt einmal als Köchin versuchen. Kinder, wenn es Zeit zum Händewaschen ist, rufe ich euch. Bis dahin vergnügt euch noch ein wenig.«
Keine der beiden rührte sich vom Fleck.
Schließlich sagte Savannah: »Wie denn?«
Die Frage überrumpelte Tess. Erschrocken sah sie die Mädchen an. Die Blicke ihrer traurigen, angstvollen Augen trafen sie bis ins Herz. Wenn sie nur ihren Schmerz hätte lindern und ihnen helfen hätte können. Aber wie? Mit Kindern hatte sie sich nie befasst. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde sie etwas Falsches sagen und alles völlig vermasseln. Da war es sicher günstiger, sich in Zurückhaltung zu üben und die Lage zu prüfen, ehe man ins Kampfgeschehen eingriff.
Dann kam ihr die Erleuchtung. Sie war für sie die Mutter. Für die Kinder war es ohne Belang, dass Tess von Mutterschaft keine Ahnung hatte. Für sie war nur wichtig, dass sie einsam und verschreckt waren und ihre Eltern sich darum nicht kümmerten. Bis jetzt.
Zögernd sagte sie: »Wie wäre es, wenn wir zusammen Blumen pflücken würden?«
Savannahs Augen wurden groß vor Staunen. »Wirklich?«
Tess wusste sofort, dass sie das Richtige getan hatte. »Ja, wirklich.«
Sie kamen auf Tess zu.
»Wartet«, sagte sie.
Sie erstarrten mit ängstlichem Blick.
Tess zuckte zusammen. Was hatten Jack und Amarylis diesen Mädchen angetan, dass diese so verschreckt waren? Mit warmem Lächeln sagte sie: »Lasst eure Bücher hier, damit ihr die Hände frei habt.«
Sie gingen zur Veranda und legten ihre Frühstücksboxen und Bücher auf der untersten Stufe ab. Dann drehten sie sich langsam um.
Tess lächelte mit neuer Zuversicht. »Also gut, gehen wir.«
Während sie den Mädchen über die Schafweide vorausging, plauderte sie unbefangen mit ihnen, darauf bedacht, das Gespräch nicht einschlafen zu lassen. Die warmen Strahlen der Spätnachmittagssonne fielen auf die welligen Grasflächen und die bunten Blumen. Eine sanfte Brise kam vom Meer her und zauste die Grashalme.
»Das ist eine Wildrose«, sagte sie und deutete auf einen struppigen kleinen Strauch, an dem sich erste Knospen zeigten. »Ich muss ihn ausgraben und vor dem Haus einsetzen. Dann sehen wir die Blüten, wenn wir abends auf der Veranda sitzen.«
»Wir haben abends noch nie auf der Veranda gesessen«, sagte Savannah sachlich.
»Nun, das wird sich ändern. Ach,
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