Im Bann seiner Küsse
seht her!« Tess drückte Caleb fester an sich und lief zu den Ahornbäumen vor ihnen.
»Was ...«
»Kommt.« Tess bückte sich nach ein paar Ahornsamenkapseln. Die Mädchen waren ihr gefolgt und sahen zu, als sie unter den geflügelten Samenkapseln nach den geeigneten suchte und sich dann aufrichtete. Sie setzte Caleb auf ihren linken Arm und warf eine Samenkapsel in die Luft. Die wie ein Bumerang geformte Kapsel wirbelte und tanzte im Abendwind wie ein Helikopter, ehe sie langsam ins Gras sank.
»Hier.« Sie legte den Mädchen einige Kapseln auf die offenen Handflächen.
Savannah starrte die Samenkapseln an. »Ich soll sie in die Luft werfen? Warum?«
»Es ist so lustig.«
Savannah furchte die Stirn. »Ach.«
Tess griff wieder nach einer Samenkapsel und schleuderte sie scharf nach rechts. Die Kapsel drehte sich um die eigene Achse und traf Tess ins Auge. »Autsch!« Sie hielt sich das Auge zu und ließ sich dramatisch zu Boden sinken.
Savannah und Katie eilten an ihre Seite. »Mama! Ist etwas?«
Tess sah lächelnd zu ihnen auf. »Nein, natürlich nicht.«
Als nach einem Augenblick betroffener Stille die Mädchen herzlich lachten, spürte Tess ein Glücksgefühl. Jetzt wusste sie, wieso dieses Geräusch ihr immer im Gedächtnis geblieben war, auch in der stummen Finsternis ihrer Taubheit.
Grinsend stand sie auf. »Seht ihr den Baum da unten? Mal sehen, wer ihn treffen kann.«
Kichernd nahmen Savannah und Katie neben Tess Aufstellung, und die Samenkapselwurfmeisterschaft wurde ernsthaft eröffnet.
Später am Abend breitete Tess das wunderschön bestickte Tischtuch aus und deckte den Tisch mit den blauen Tellern und dem Tafelsilber. Ein Strauß purpurner und hellrosa Wiesenblumen zierte den Tisch. Salz-und Pfefferstreuer flankierten die Vase.
Alles war perfekt.
Vergnügt pfeifend drehte sie sich um und ging ins Schlafzimmer. Sie öffnete den Schrank und starrte die Sachen an, die drinnen ordentlich aufgereiht hingen.
Sie suchte etwas ganz Besonderes zum Anziehen. Nach der schönen Zeit mit den Mädchen regte sich in ihr unerwartet die Hoffnung, sich in ihr neues Leben gut einzufügen und hier allmählich eine Veränderung zu bewirken. Da heute ihr erstes Familiendinner stattfand, wollte sie besonders gut aussehen.
Als erstes Stück fiel ihr eine knöchellange, im Schritt offene Batisthose mit Zugband um die Mitte in die Hände.
»Reichlich gewagt«, murmelte sie und ließ die Hose zu Boden fallen.
Als Nächstes erwischte sie ein sanduhrförmiges Fischbeinkorsett in Barbie-Puppen-Größe. Das Schnürmieder landete neben der Hose auf dem Boden. Undenkbar, dass sie ihre Wöchnerinnenfigur in dieses Folterinstrument zwängte.
Als sie Stück für Stück herauszog, wurde Tess in steigendem Maß zweierlei bewusst: dass ihr erstens keines dieser Kleidungsstücke passen würde, wenn sie nicht das Korsett anlegte, und dass zweitens den Frauen in der guten alten Zeit einiges an Unbequemlichkeit abverlangt wurde.
Sie zog das mehlbestäubte Baumwollkleid aus und warf es unten in den Schrank. Dann quälte sie sich in die schrittlose Batisthose und zog darüber einen bodenlangen weißen Batistrock mit hübschem Spitzensaum an. Die Krönung war eine ärmellose, rund ausgeschnittene weiße Bluse, die aussah wie aus der Frühjahrskollektion von Ralph Lauren.
Sie ging an den Waschtisch und begutachtete sich im Spiegel, indem sie sich hin und her drehte. Als das hübsche weiße Material sich üppig bauschte und ausschwang, kam sie sich unglaublich weiblich und schön vor.
Befriedigt ging sie zurück in die Küche. Ein kurzer Blick auf das Abendessen, und sie rief nach den Mädchen.
Savannah und Katie kamen gelaufen. Kaum hatte Savannah Tess gesehen, als sie wie angewurzelt stehen blieb. Katie prallte gegen die Kehrseite ihrer Schwester und kicherte laut.
Tess runzelte die Stirn. »Was ist denn?«
Savannah warf einen nervösen Blick zur Tür hin, als befürchtete sie, Jack könnte jeden Moment kommen. »Du trägst ja deine ... Unaussprechlichen.«
Tess blickte erstaunt an sich hinunter. »Wirklich? Das soll Unterwäsche sein? Alles?«
Savannah nickte.
Tess lachte auf. »Ach was ... das wird wenigstens Jacks Aufmerksamkeit fesseln, meint ihr nicht auch?«
Savannah wollte noch etwas sagen, als sie den Küchentisch bemerkte. Ihr sprangen fast die Augen aus dem Kopf.
»Und was ist jetzt falsch?«, fragte Tess.
»Das ist das gute Sonntagstischtuch. Wir haben es nie nicht genommen, seit Reverend Reeves
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