Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Bann seiner Küsse

Im Bann seiner Küsse

Titel: Im Bann seiner Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
Vom Netzwerk:
musste gefühllos bleiben. Das wusste er. Vor Jahren, in den Anfängen des Hasses seiner Frau, hatte er gelernt, seinen Schmerz und sein Verlangen unter eisiger Ruhe zu verbergen. Lachte Amarylis ihn aus, kehrte er ihr den Rücken. Ohrfeigte sie ihn, hielt er ihr die andere Wange hin.
    Es hatte immer funktioniert. Er war stumm, allein und einsam um dieses Haus gewandert wie ein Untoter in einer Welt von Halblebendigen. Nach einer gewissen Zeit hatte sie sogar aufgehört, ihn zu reizen. Sie lebten wie Fremde, sie alle, jeder für sich und ohne Beziehung zum anderen.
    Natürlich hasste er diesen Zustand, doch war es der einzige Weg, seine Kinder zu schützen. Es war der einzige Punkt, in dem er und Amarylis sich immer einig waren. Er stellte eine Gefahr für sie alle dar. Sein Irrsinn lag lange zurück, war aber nicht vergessen. Auch jetzt noch, Jahre nach dem Zusammenbruch, ging er allabendlich voller Angst zu Bett und erwachte jeden Morgen in Schweiß gebadet. Immer litt er verzweifelte Angst, dass die Dunkelheit ihn unversehens überfiele und er während seines Blackouts jemandem etwas antun könnte. Womöglich seinen Kindern ...
    Er nahm die Isolation von seinen Lieben als Tatsache des Lebens hin, als Folge seiner Feigheit und seines mentalen Defekts.
    Nun aber war eine Veränderung eingetreten. Bis zu Calebs Geburt war er gegen Amarylis' grausame Spielchen so gut wie immun gewesen. Da er ihre Schachzüge distanziert beobachtete und jeden Schritt voraussah und durchschaute, hatte er immer einen gewissen Vorsprung.
    Und jetzt büßte er diesen Vorteil ein. Sie war unberechenbar geworden, weil sie ihre Vorgehensweise änderte. Immer wenn sie etwas Neues ausheckte, spürte er es wie einen Boxhieb in den Magen. Gefühle durchschossen ihn mit erschreckender Geschwindigkeit... Schmerz, Scham, Angst. Doch das stärkste Gefühl, jenes, das ihn am meisten verstörte, war Verlangen. Er hatte gedacht, das Verlangen nach ihr wäre vor Jahren gestorben und im eisigen Sarg ihres Hasses begraben worden.
    Und jetzt spürte er es wieder, wie es seine Sinne durchdrang und seiner Seele die Kraft raubte. Oh Gott, wenn sie lächelte, war das Verlangen nach ihr wie ein Schlag gegen sein Herz. Es war so lange her, seitdem sie ihm zugelächelt hatte, dass er es fast vergessen hatte. Fast...
    »Beachte sie nicht«, sagte er leise zu sich. Beachte die Veränderungen nicht, das Lächeln, die Berührungen. Beachte sie nicht und denke daran, wer sie ist und warum sie dich hasst.
    Savannahs unbekümmertes Lachen war durch die halb offene Tür zu hören und füllte die kleine, dunkle Küche aus.
    Jack stöhnte auf und trat vom Fenster zurück. Er drehte sich um, durchmaß den Raum und bemühte sich, Tischtuch und Blumen zu übersehen.
    Veränderungen. Noch mehr gottverdammte Veränderungen.
    Nicht beachten.
    Wieder erklang melodiöses Lachen. Diesmal war es das leise, kehlige Lachen seiner Frau, das die kühle Nachtluft durchdrang.
    Wieder verspürte er Verlangen nach ihr, so heftig, dass er fast zur Tür gegangen wäre, doch er rührte sich nicht vom Fleck und blieb reglos stehen.
    »Bitte, lieber Gott«, murmelte er. »Ich habe dich nie um viel gebeten und weiß, dass ich keine Hilfe verdiene, aber ich brauche sie. Bitte, lass nicht zu, dass ich wieder an Amarylis glaube. Bitte...«
    Tess erwachte mitten in der Nacht, als es Zeit wurde, Caleb zu stillen. Sie gab dem Baby im Halbschlaf die Brust, wickelte es und legte es wieder hin. Fast war sie wieder im Bett, als sie ein merkwürdiges, scharrendes Geräusch aus dem Wohnzimmer hörte.
    Du kennst die verdammten Regeln.
    Jacks Worte riefen ihr in Erinnerung, dass sie ihr Zimmer nicht verlassen sollte.
    Sie starrte die Tür an. Die alte Tess, diejenige, die in Pflegefamilien aufgewachsen war, hätte Jacks Gebot nicht in Frage gestellt. Eine Regel war eine Regel. Man ging nicht dorthin, wo man nicht erwünscht war.
    Nun aber gab Tess sich mit dieser alten Erklärung nicht zufrieden. Heute war mit ihr etwas geschehen. Im Mondschein auf dem Hof, als sie so nahe bei Jack gestanden hatte, dass sie ihn anfassen konnte und seinen Atem als Liebkosung an den Lippen spürte, war ihr klar geworden, wie verzweifelt sie sich wünschte, den Menschen kennen zu lernen, der ihr Mann war. Und es gab nur einen Weg. Man musste gegen ein paar Regeln verstoßen.
    Sie schlüpfte in ihren Schlafrock, ging zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Helles goldenes Licht fiel aus dem Wohnzimmer in den Flur.
    Leise schlich sie

Weitere Kostenlose Bücher