Im Bann seiner Küsse
den dunklen Gang entlang und blieb an der Ecke stehen.
Jack saß an dem gemauerten Kamin, hinter sich den rotgoldenen Schein des Feuers, zwischen den Beinen ein großes Stück Holz. Das langsame, regelmäßige Schaben eines Messers, das über entrindetes Holz glitt, erfüllte den Raum.
Tess kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, was er machte.
Ein Schaukelpferd. Die spitzen Ohren und der dreieckige Kopf sowie die großen gebogenen Kufen waren schon zu erkennen.
Tess war bis ins Herz getroffen. Allein und einsam schnitzte er mitten in der Nacht etwas für die Kinder, die er so sehr liebte. Kinder, mit denen er nie sprach, die er kaum anschaute und dennoch wie seine Augäpfel hütete.
Was ist dir zugestoßen, Jack Rafferty ? Die Frage brannte ihr auf den Lippen. Was war passiert, dass er nichts mehr fürchtete, als seine Liebe zu zeigen? Sie wusste, dass sie seine Privatsphäre respektieren und sich nicht bemerkbar machen sollte, aber sie konnte es nicht. Sie ging auf ihn zu, die Hand ausgestreckt, die Augen liebevoll auf ihn gerichtet. »Jack?«
Sein Kopf schnellte hoch. »Amarylis? Was machst du ...«
»Lissa«, gab sie leise zurück. »Ich konnte nicht schlafen.« Sie ging zum Sofa und setzte sich leicht auf die abgestoßene Kante. »Was machst du da?«
»Bitte«, sagte er gebrochen und müde. »Lass mich da raus.«
»Wo raus?«
»Aus deinem Spiel. Lass mich und die Kinder in Ruhe.«
»Was ist schlecht an Spielen?« Ihre Stimme war so leise, dass er sich vorbeugen musste, um sie zu hören. »Dir könnte ein bisschen Spaß im Leben auch nicht schaden.«
Verzweiflung füllte seine Augen. Er fuhr sich unsicher durchs Haar und schaute weg. »Ich tue mein Bestes«, sagte er leise. »Also reiz mich nicht mutwillig.«
Die schmerzlichen Worte griffen Tess ans Herz, und das stumme Leid in seinen Augen drückte ihr die Luft ab.
Sie trat einen einzigen Schritt auf ihn zu und hielt inne. Bei Jack musste man langsam vorgehen und die Beziehung Schritt für Schritt aufbauen. Heute war der Beginn, der Start, deshalb war es wichtig, dass sie es richtig machte. Wenn sie nur gewusst hätte, was bei Jack >richtig< war ...
Als er plötzlich aufsprang, um in die Küche zu gehen, fiel das Schaukelpferd laut polternd auf den Holzboden.
»Jack.« Sein Name glitt ihr über die Lippen, ehe ihr etwas anderes einfiel.
Er ließ sich nicht aufhalten, ging durch die Küche und aus dem Haus. Tess starrte ihm lange nach. Dann bückte sie sich nach dem Schaukelpferd. Sie strich über die raue Oberfläche und spürte, wie ihr Tränen in den Augen brannten.
Sie war nun überzeugt, dass er vor etwas davonlief. Ganz sicher. Vor etwas Dunklem und Gefährlichem, das ihn in Todesangst versetzte.
Und er war in seinem Kampf allein. Verzweifelt und schmerzlich allein.
Irgendwie musste sie ihm diese Bürde von den Schultern nehmen und ihm beibringen, dass sie ihm nicht wehtun würde. Wenn es ihr gelang, ihn in die Familie einzubeziehen, und er sich seiner schweren Last entledigte, konnte der gemeinsame Prozess des Heilens und Verschmelzens beginnen.
Irgendwie musste sie einen Weg finden, hinter Jacks zornige Fassade vorzudringen und sich einen Zugang zu dem Mann hinter der Maske zu verschaffen.
Als sie am nächsten Morgen die Speisekammer putzte, fiel er ihr ein. Der Plan.
Teil eins war trügerisch einfach. Man musste Jack Reaktionen entlocken.
Sie wusste nun, dass er hart, sehr hart daran arbeitete, zu Frau und Kindern auf Distanz zu bleiben. Die Szene am Kinderbettchen bewies, wie sehr er die Kinder liebte und wie sehr er Angst hatte, diese Liebe zu zeigen.
Sie hatte keine Ahnung, was ihn so abweisend und schroff machte, doch war Tess ziemlich sicher, dass es eine sorgsam konstruierte Fassade war. Eine Methode, seine Kinder davon abzuhalten, ihn zu lieben.
Sie musste ganz langsam, Schicht für Schicht, seine Abwehrhaltung abbauen, musste ihn zwingen, mit der Familie zu interagieren. Wenn sie es schaffte, ihn in den Familienkreis einzubeziehen, würde er vielleicht ein wenig lockerer werden. Er würde sich vielleicht sogar bemühen, ein richtiger Vater zu sein.
Tess wusste, was er empfand, wusste, wie schlimm es war, in der eigenen Familie ein Ausgestoßener zu sein. Und sie wusste auch, was die Mädchen fühlten, wenn er ihnen den Rücken drehte oder ihre Blicke nicht erwiderte. Jede Zurückweisung, und sei sie auch noch so geringfügig, war wie ein winziger Schnitt mit dem Skalpell. Als Waisenkind und widerwillige
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