Im Bann seiner Küsse
versuchen?« Das leise Beben in ihrer Stimme rührte Tess ans Herz.
»Natürlich. Lauf hinunter und ich werfe.«
Katie rannte zu ihrer Schwester und drehte sich mit ausgestreckten Händen um.
Nun schleuderte Tess das nächste Brötchen langsamer und nicht so kraftvoll. Es segelte durch die Luft und landete in Katies kleinen Händen.
»Ich hab's, Savannah! Ich hab's!«
Tess war in die Betrachtung der Mädchen so versunken, dass sie gar nicht hörte, als Jack zu ihr kam. »Was soll das?«
Sie zuckte zusammen, und als sie sich umdrehte, fand sie sich beinahe in seinen Armen wieder. In Jacks Augen flammte Überraschung auf, doch war es ein Gefühl, das kaum einen Herzschlag anhielt. Sein Blick wurde schmal und nagelte sie fest.
»Antworte, verdammt.«
Seine Nähe jagte merkwürdige Empfindungen durch ihren Körper. Ihre Kehle war eng und rau. Sekundenlang blieb ihr die Luft weg.
Mondschein fiel durch die Äste und auf ihre Gesichter. Reglos standen sie da, so nahe, dass sie einander berühren konnten, was sie peinlich vermieden.
Sie blickte auf und begegnete seinem besorgten Blick.
Er hat Angst, erkannte sie plötzlich, ohne ihn fragen zu müssen. Was Menschen betraf, hatte Tess schon lange gelernt, ihrem Instinkt zu trauen. Sie irrte sich selten. Aus irgendeinem Grund hatte Jack Angst vor seiner Frau, und sein Sarkasmus und sein Ärger waren nur Fassade, eine Methode, um seine kostbare Distanz zu wahren. Darauf hätte sie ihren letzten Dollar verwettet.
»Jack«, flüsterte sie seinen Namen mit leiser Verwunderung.
Er rührte sich nicht, stand nur da und starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an, deren Blick unergründlich war. Ihre Gesichter waren einander nahe, keine Handspanne entfernt. Sie roch den männlichen Duft nach Wolle und Leder und Holzrauch in seinen Kleidern, spürte seinen leisen Atem an ihren Lippen.
»Was machst du da?«, fragte er verhalten.
Tess schluckte mühsam. Nach Jahren der Taubheit wusste sie, was Zuhören hieß. Sie hörte aus seiner Stimme Dinge heraus, die ein nicht hörbehinderter Mensch nie wahrgenommen hätte. Angst, Erschöpfung, Verzweiflung. Und noch etwas, das ihr Herz ergriff und zerriss.
Einsamkeit.
In diesem Augenblick wusste sie es. Sie konnte Teil dieser Familie sein. Als sie mit den Kindern Blumen gepflückt hatte und dann, beim Tischgebet, hatte Tess das Gefühl gehabt ... dazuzugehören.
Dies war die zweite Chance, die Carol ihr gegeben hatte. Es ging nicht allein um ein neues Leben in einem anderen Körper, sondern darum, dass sie zu jenen Gefühlen fand, von denen sie nur geträumt hatte, darum, dass sie eine Seite von sich selbst entdeckte, von der sie nicht gewusst hatte, dass es sie gab.
Es war sogar mehr als das. Diese Chance gehörte ihnen allen. Gemeinsam konnten sie einander helfen, einander heilen.
Diese Erkenntnis befreite sie und verlieh ihr Mut, wie sie ihn nie gekannt hatte, und das Gefühl, dass alles seine Richtigkeit hatte. Jetzt fühlte sie sich, als könnte sie es mit der ganzen Welt aufnehmen und nicht nur mit einem angsterfüllten, vereinsamten Mann.
Als Tess zu ihm aufsah, wusste sie, dass ihr Blick die Hoffnungen und Träume einer Frau verrieten, die zu lange allein gelebt hatte. Ebenso wusste sie, dass das Gefühl in ihren Augen ihn ängstigen würde. Dennoch war sie nicht imstande, sich zu verstellen und Gleichgültigkeit zu heucheln.
Plötzlich wich er von ihr zurück, die Hand erhoben, und schüttelte verneinend den Kopf. »Ich werde nicht zulassen, dass du diese Kinder noch mehr verletzt, als wir es bereits getan haben.«
Sie wollte nach ihm fassen. »Jack ...«
Er zuckte zurück und strauchelte rücklings in seiner Eile, ihrer Berührung zu entgehen. »Ich meine es ernst«, sagte er leise. »Tu ihnen nicht weh.«
Tess sah ihn fortgehen. Mit jedem Schritt, den er tat, spürte sie, wie Schmerz und Trauer von ihr Besitz ergriffen.
Da ging ihr auf, wie groß das Risiko war, das sie einging. Ließ sie jetzt zu, dass sie diese Familie lieb gewann und sich in Jack verliebte, würde nichts wieder so sein wie früher. Wenn die Kinder oder er sie zurückwiesen, würde es schmerzen, wie nichts im Leben sie geschmerzt hatte.
Jack stand am Fenster, die Stirn am kühlen Glas, und sah zu, wie seine Frau seinen kichernden Töchtern flache Brötchen zuwarf.
Er kniff die Augen zu und versuchte, nicht an das zu denken, was mit ihm vorging. Was sie mit ihrem plötzlichen Lächeln und ihren beiläufigen Berührungen bewirkte.
Er
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