Im Bann seiner Küsse
sie sich umdrehte, war Jack verschwunden.
Sie hob den Rock an, lief den Mittelgang entlang und durch die halb offene Tür hinaus. Jack hockte auf der obersten Stufe, vornübergebeugt, das Kinn in Händen, und starrte zu Boden.
Sie blieb abrupt stehen und setzte sich neben ihn. Ihr Hinterteil traf mit einem dumpfen Geräusch auf dem Brett auf.
»Du hättest es nicht tun sollen«, sagte er tonlos. »Wenn du so tust, als ob, ist es umso schlimmer.«
»Was so tun, als ob?«
»Als ob du Anteil nehmen würdest. Es wird Katie umso schwerer treffen, wenn du wieder in deine alte Art verfällst. Du sollst ...« Er wandte sich ihr zu. Schmerz, so heftig wie eine frische Wunde, sprach aus seinen Augen. »Du sollst keine falschen Hoffnungen wecken. Bitte.«
Tess berührte sein Gesicht ganz leicht und voller Mitgefühl. »Warum?« Das leise Wort entschlüpfte ihr unwillkürlich.
Er zuckte zurück. »Warum was?«
»Warum hast du so große Angst vor ihr?«
Sein Atem entwich in einem müden, bebenden Seufzer, der ihre Wangen streifte. Der Schmerz in seinem Blick griff ihr ans Herz. »Lissa, bitte ...« Sein Ton verriet, wie ihm zumute war.
Tess rückte näher zu ihm, angezogen von dem dunklen schmerzlichen Gefühl, das sie auch erfüllt hatte, als sie ihn zum ersten Mal sah. Wieder berührte sie sein Gesicht. Diesmal war die Berührung eine Liebkosung. Ihr Blick versenkte sich in ihn, verzweifelt bemüht, hinter die Furcht zu blicken. »Jack, ich bin nicht dieselbe. Ich werde dir nicht wieder wehtun.«
Einen Sekundenbruchteil glaubte sie, Hoffnung in seinem Blick zu sehen. Dann war sie verschwunden, so schnell, wie sie gekommen war. »Sicher, Lissa. Ich glaube dir.«
»Glaube es.« Sie nahm sein Gesicht in die Hände. Seine Augen wurden groß, als ihm aufging, was sie wollte, und er versuchte, sich ihr zu entziehen.
»Lissa, nicht...«
Sie beugte sich vor, obschon sie wusste, dass es zu früh war und er nicht bereit. Und doch tat sie es.
Sie wollte ihn küssen. Jacks ganzer Körper wehrte sich. Er wusste, dass er sich ihr entziehen sollte, doch konnte er sich nicht rühren. Das unverhüllte Verlangen eines Mannes, der unglücklich verliebt gewesen war, ließ ihn erstarren.
Er wollte ihre Lippen spüren, wollte es so sehr, dass er sich ganz schwach fühlte. Seit er sie halb nackt im Bad gesehen hatte, hatte er von diesem Moment geträumt. Wie ein in dunkler Einzelhaft schmachtender Gefangener hatte er von der sonnigen Wärme ihrer Berührung geträumt. Sich danach verzehrt. Und jetzt, mit der Erinnerung von Miss Arnes' Verdammungsurteil stark und bitter auf der Zunge, brauchte er dies. Brauchte er sie ...
Er spürte, wie ihre Lippen seine berührten, sanft wie ein Flüstern zunächst, nur ein Atemhauch und nicht mehr. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
»Oh Gott.« Die Worte entschlüpften ihm mit einem lustvollen und zugleich schmerzlichen Aufstöhnen. Zitternd berührte er ihr Gesicht und hielt sie fest. Seine Finger gruben sich besitzergreifend in ihr Haar. Verlangen erfasste ihn in einer glühenden Woge. Liebe und Sehnsucht, die er so lange verborgen hatte, füllten ihn aus. Oh Gott, wie er sie begehrte ...
Er hielt sie fest und küsste sie hungrig und leidenschaftlich. Seine Zunge zwang ihren Mund auf und tauchte in die feuchte Wärme ein. Der Kuss war alles, was er wollte und erträumte, und doch war etwas darin, das ihn erstaunte. Ihre Lippen waren weich wie immer, auch der Lavendelduft umgab sie wie immer, doch lag eine Sanftheit in diesem Kuss, die neu war. Eine von Unerfahrenheit kündende Behutsamkeit und nur ein Anflug von Zaghaftigkeit. Es erinnerte ihn an ihren allerersten Kuss, als sie beide vor langer Zeit noch an die Liebe geglaubt hatten.
Langsam und mit geschlossenen Augen zog er sich zurück. Er wollte sie jetzt nicht sehen, wollte nicht riskieren, dass wieder Kälte aus ihrem Blick sprach. Mit diesem einzigen sehnsüchtigen Kuss hatte er ihr die Munition geliefert, die sie benötigte, um seinen Untergang herbeizuführen. Sie brauchte nur zu lachen - mehr nicht.
»Jack.« Sein Name kam leise und zögernd von ihren Lippen, als wäre sie erschrocken und aufgewühlt wie er.
Erstaunt öffnete er die Augen und sah sie an. Und war verloren.
In ihren großen braunen Augen schimmerten Tränen. Ihre Lippen bebten. Sie versuchte ein Lächeln und versagte kläglich.
Jack hatte das Gefühl, einen Schlag unter die Gürtellinie bekommen zu haben, und starrte sie wie benommen an. Atemberaubend
Weitere Kostenlose Bücher