Im Bannkreis Des Mondes
trug zum Plaid ein Hemd. Man hatte ihr erzählt, schottische Krieger seien es gewohnt, sich so zu kleiden, wenn sie auf die Jagd gingen oder in eine Schlacht zogen. Zumindest bei den Highlandern schien es so zu sein, denn im Gegensatz zu ihnen trugen die MacDonalds Hemden. Allerdings bewiesen sie zugleich ihren Mangel an Anstand dadurch, dass ihre Beine nackt waren. Abigail hatte schon so viel Zeit damit zugebracht, über diese Eigenart der gälischen Kleiderordnung zu erröten, dass sie überzeugt war, ihre Wangen seien ständig von einer rosigen Farbe überzogen.
Der schwarzhaarige Mann hatte eine faszinierende dunkle Tätowierung, die sich um seinen linken Oberarm zog. Abigail hatte von den Stämmen in den Highlands gehört, die diesen barbarischen Brauch pflegten und ihre Haut mit blauer Tinte dauerhaft zeichneten. Aber ihr war nie in den Sinn gekommen, die Sinclairs könnten zu diesen Leuten gehören. Die dunklen Linien bewegten sich, als der Mann aus dem Sattel glitt und seine Muskeln sich dabei anspannten.
Sie verspürte den höchst verwirrenden Wunsch, diese dunklen Tintenlinien mit den Fingern nachzuzeichnen, und fühlte sich von ihm bis ins Mark erschüttert. Abigail war viel unschuldiger als ihre jüngere Schwester Jolenta, die in den letzten vier Jahren stets ein paar Monate am königlichen Hof in London verbracht hatte. Jolenta hatte gern damit geprahlt, dass sie mit zahlreichen Männern bei Hofe geflirtet hatte.
Sie hatte Abigail auch erzählt, dass sie sogar so weit gegangen war, einigen von ihnen zu erlauben, sie zu küssen. Als Abigail ihr Missfallen über dieses schamlose Verhalten zum Ausdruck brachte, hatte Jolenta nur gelacht.
Da Jolenta selten bereit war, ihre Zeit mit Abigail zu verbringen, hatte sie ihre Schwester nicht mehr mit ihren Bedenken behelligt. Aber sie hatte sich gefragt, ob Jolentas direkte Art der Grund war, warum sie dieses Jahr früher als erwartet vom Hof heimgekehrt war.
Anders als ihre eigensinnige, wenngleich mutige Schwester sprach Abigail nur selten mit Männern. Sie hatte noch nie einen Mann berührt oder auch nur den Wunsch verspürt, dies zu tun. Wenn ihre Erinnerung sie nicht trog, war sie zum ersten Mal von einem Mann berührt worden, als ihr Stiefvater sie in ihre Kammer getragen hatte, nachdem sie von ihrer Mutter verprügelt worden war.
Die Wahrheit war, dass sie nur selten von irgendwem berührt worden war.
Der Wunsch, die Hand auszustrecken und jemanden zu berühren, war ein so neues Gefühl für Abigail, dass es sie für einige Augenblicke fast lähmte.
Während sie noch ganz gefangen war von diesem verwirrenden neuen Gefühl, wandte sich der Mann mit dem rabenschwarzen Haar um. Jetzt konnte Abigail sein Gesicht sehen, und ihr stockte der Atem. Ein Bartschatten umriss ein kantiges Kinn und feste, männliche Lippen. Er hatte das schönste Gesicht, das sie je gesehen hatte.
Und das furchteinflößendste.
Weil sie mit unerschütterlicher Sicherheit wusste, dass er der Mann war, den sie heiraten sollte. Seine Macht umgab ihn wie ein dichter Nebel, der nie verschwand. Kein anderer als dieser Mann konnte der Anführer der Sinclairs sein.
Er wandte den Kopf, und Abigail hätte schwören können, dass er sie direkt anblickte. Es war, als wüsste er, dass sie ihn beobachtete. Aber das konnte nicht sein. Der Impuls, sich hinter der Abdeckung zu ducken, war so übermächtig, dass sie ihm fast nachgegeben hätte. Aber sie hatte noch immer das Gefühl, von ihrem Wunsch, ihn zu berühren, paralysiert zu werden. Und ganz gewiss konnte er sie im Dunkel der Hütte gar nicht erkennen, oder?
War das Grausamkeit oder die Kraft seiner Macht, die sie in seinen funkelnden Augen erblickte? Sie sah, dass er von ihrer Anwesenheit wusste. Auch wenn das unmöglich war, aber er wusste , dass sie dort stand. Aber woher?
Anders als er stand sie nicht mitten auf einem Platz, der keinen Schutz vor dem Mondlicht bot. Sie stand fast vollständig hinter der Fensterabdeckung verborgen. Und was die Abdeckung nicht verbarg, sollte in der Dunkelheit für ihn nicht erkennbar sein. Eine Dunkelheit, die durch den Schatten unter dem tief gezogenen Hüttendach noch verstärkt wurde.
Und als wäre dies an sich nicht schon merkwürdig genug, wandte sich jetzt auch der hellhaarige Krieger in ihre Richtung. Obwohl sie nicht gesehen hatte, dass der andere Mann ihn auf ihre Anwesenheit aufmerksam gemacht hatte. Die Augen des Kämpfers schimmerten dunkel, doch Abigail vermutete, dass sie nicht braun
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