Im Bannkreis Des Mondes
waren. Er war noch größer als der dunkelhaarige Mann, dennoch schloss sie daraus nicht, dass er der Anführer war.
Auch wenn Kraft wichtig war, um die Führerschaft in den von kämpferischen Auseinandersetzungen beherrschten Clans des Nordens zu untermauern, war die Körpergröße nicht der einzige entscheidende Faktor. Der blonde Riese machte auf Abigail einen sehr starken Eindruck. Aber er sah sie nicht mit dieser Intensität an, die der andere Mann ausstrahlte.
Zudem trug er keine Tätowierung auf seinem Oberarm, und sie vermutete, das dies ein wichtiges Zeichen war. Über seine linke Wange zog sich eine lange Narbe, aber selbst damit war er fast so attraktiv wie der andere Mann.
Abigail spürte augenblicklich, dass etwas sie mit diesem Mann verband. Es fiel anderen sehr leicht, den Wert eines Menschen nach dessen körperlichen Gebrechen zu bewerten. Dieser Mann konnte ebenso wenig etwas für seine Narbe wie sie etwas für ihre Taubheit konnte.
Der schwarzhaarige Mann ging jetzt mit entschlossenen Schritten auf die Hütte zu. Der hochgewachsene Krieger folgte ihm. Ein merkwürdiges schiefes Grinsen lag auf seinem Gesicht. Die gerunzelte Haut um seine Narbe verlieh ihm etwas Ernsthaftes, das im Gegensatz zu dem fröhlichen Leuchten in seinen Augen stand.
Spätestens in diesem Augenblick hätte Abigail sich hinter dem Fenster ducken müssen. Aber sie konnte es nicht. Der tätowierte Kämpfer schlug ihre Aufmerksamkeit in seinen Bann, und es war ein Gefühl, das an Intensität ihrer Hoffnung, eines Tages ihre Schwester wiederzusehen, in nichts nachstand.
Sein stummer Befehl an sie, sich nicht von der Stelle zu rühren, war unmissverständlich.
Selbst wenn dieser Befehl nur in ihrer Vorstellung existierte, beherrschte er sie. Ihr Körper fühlte sich merkwürdig schwer an, obwohl ihr Kopf zugleich ganz leicht wurde. Angst und Heiterkeit durchströmten sie, während sich ihre Finger um die Abdeckung schlossen.
Als der Mann näher kam, ging Abigails Atem schneller. So schnell, bis sie schließlich keuchte wie früher, wenn sie ihre Schwester über die Wiesen in der Nähe der väterlichen Burg gejagt hatte.
Anders als sie erwartet hatte, blieb er nicht stehen, als er die Hütte erreichte, sondern ging weiter zu deren Vorderfront. Abigail starrte ihm verwirrt und enttäuscht hinterher, auch wenn sie eigentlich gar nicht den Wunsch gehabt hatte, mit ihm zu sprechen.
Ihr Blick richtete sich wieder auf den hellhaarigen Krieger, der einige Schritte vor dem Fenster stehen geblieben war. Er blickte sie an, aber wenn er neugierig war, so zeigte er das nicht. Das unterschied ihn eindeutig von den Leuten des MacDonald-Clans. Sein vernarbtes Gesicht und die grauen Augen ließen keine Regung erkennen, aber sein kantiges Kinn drückte Entschlossenheit aus. Er schien nicht die Absicht zu haben, das Wort an sie richten.
Abigail erwiderte seinen Blick. Sie wusste nicht recht, ob sie etwas sagen oder wie sie reagieren sollte.
Dieses Schweigen dauerte an, bis der dunkelhaarige Mann zurückkam. Seine Miene zeigte Verärgerung, und um seinen Mund lag ein zorniger Zug. Sein Blick schien sie zu versengen, als er sie durchdringend anstarrte. Seine Augen waren von einem Blau, das intensiver war als das des Sommerhimmels, wenn auch nicht so dunkel wie das samtene Dunkelblau der Nacht.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich und hämmerte in der Brust. Sie legte eine Hand auf ihren Hals, um zu verhindern, dass sie unbewusst einen Laut von sich gab.
»Warum seid Ihr wütend?«, spürte sie sich sagen. Sie hatte die Worte ausgesprochen, ohne darüber nachzudenken, und sie hatte sie auf Gälisch gesagt. Ihre Worte waren nicht so zögerlich wie damals, als sie mit Emily die Sprache gelernt hatte, aber ihre Stimme klang recht leise.
Eigentlich hätte sie gar nicht mit ihm reden dürfen. Es war ein unziemliches Verhalten, für das Sybil sie bestimmt getadelt hätte.
»Weil niemand Euch bewacht.«
»Die Soldaten sind in ihren Zelten auf der Westseite der Hütte.« Das war ihm bestimmt nicht entgangen.
»Sie schlafen.«
»Sie würden sofort kommen, wenn ich um Hilfe rufe.« Obwohl sie ehrlich gesagt nicht wusste, ob sie noch schreien konnte.
Zwei Jahre war es her, dass Emily sie verlassen hatte, und seitdem hatte ihr niemand mehr geholfen, die Höhen und Tiefen ihrer Stimme zu erproben.
Die Miene des Mannes verfinsterte sich noch mehr. »Wo sind die Männer, die Eure Tür bewachen sollen?«
Sie wünschte sich so sehr, seine Stimme
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