Im Bannkreis Des Mondes
Alle paar Schritte blickte sie wieder zum Höhleneingang. Er blieb so leer wie schon in der langen Zeit, die vergangen war, seit sie den Kriegern eine gute Nacht gewünscht und sich in Talorcs und ihre provisorische Schlafkammer im Höhleninnern zurückgezogen hatte.
Ihr Mann war nach dem Nachtmahl einfach fortgegangen und seither nicht zurückgekehrt. Zuerst war sie über seine Abwesenheit irgendwie erleichtert gewesen. Sein bissiger Kommentar, es sei doch genug, wenn man wünschte, mit der eigenen Frau nicht verfeindet zu sein, hatte sie an den Rand der Tränen gebracht. Wenn sie noch hinzunahm, wie er sie den ganzen Tag über ignoriert hatte und lieber auf die Jagd gegangen war, bestand für sie kein Zweifel mehr, was er in ihr sah.
Sie war ein Eindringling und nicht willkommen.
Wie schon bei ihren Eltern.
Nur einen kurzen Augenblick, als er sich nach dem Vollzug ihrer Ehe am Vorabend so zärtlich um sie gesorgt hatte, hatte sie sich gestattet, daran zu glauben, dass es bei ihm anders sein könnte.
Aber jetzt blieb ihr nur dies: Ihn kümmerte nicht, was mit ihr geschah. Egal, was er während des Chrechterituals gesagt hatte und dass sie nun keine Engländerin mehr war. Egal, wie tief sie sich ihm verbunden gefühlt hatte, als ihre Körper sich vereinigten. Sie war eine Närrin, wenn sie glaubte, er könne sich irgendwann mehr aus ihr machen. Eine vollkommene Närrin. Die körperliche Intimität hatte sie so sehr bewegt, und ihm hatte es nichts bedeutet.
Sie war seine Feindin. Dass sie zugleich seine Frau war, konnte diese hervorstechende Tatsache nicht ausradieren.
Sie konnte sich nicht mal zugutehalten, dass sie so dumm gewesen war zu glauben, in seinem Clan könne es einen Platz für sie geben. Vielleicht sogar, wenn seine Leute irgendwann von ihrer Taubheit erfuhren … Nein, Talorc würde diesen Umstand mit Freuden zu seinem Vorteil nutzen, denn ihre Taubheit bot ihm die perfekte Entschuldigung, um seine unerwünschte englische Frau loszuwerden. Alles war genau so, wie sie ursprünglich gedacht hatte.
Sie wischte die Tränen fort, die sich unter ihren Lidern sammelten. Sie würde nicht weinen. Auf keinen Fall.
Genauso wenig wollte sie, dass Talorc irgendwann zurückkam und sie noch immer ungeduldig auf und ab lief und auf seine Rückkehr wartete.
Mit diesem Gedanken im Kopf kleidete sie sich bis aufs Unterhemd aus und schlüpfte unter die Pelze. Sie wollte schlafen oder wenigstens so tun. Eins von beidem würde schon klappen, solange Talorc nur nicht merkte, wie tief verletzt sie war, nachdem sie hatte erfahren müssen, dass ihre dummen Hoffnungen genau das waren: dumme Hoffnungen.
Kapitel 10
N ur noch eine Fackel brannte in der Höhle, als Talorc irgendwann nach Mitternacht zu ihr kam. Das Wasser im unterirdischen See wirkte im gedämpften bernsteinfarbenen Licht wie ein Obsidianspiegel. Er überlegte, ob er baden sollte, ehe er sich zu Abigail legte, aber dann wurde ihm bewusst, dass er nur versuchte, das Unvermeidliche aufzuschieben. Er wandte sich um und betrachtete seine Frau.
Sie schlief unruhig. Die Pelze, unter denen ihr wunderschöner Körper gewärmt werden sollte, hatte sie weggetreten. Sie trug ihr Unterhemd, obwohl sie seit der Nacht nach ihrer Hochzeit nicht mehr versucht hatte, darin zu schlafen. Wenn sie auf diese Weise versuchte, den Anstand zu wahren, war sie damit gescheitert. Das Unterhemd hatte sich bis zu den blonden Löckchen, die ihren Schamhügel bedeckten, hochgeschoben.
Ihre wohlgeformten Beine schimmerten in dem sanften Licht und lockten ihn, sie zu berühren. Alles am Körper seiner Frau sprach sein Sinne und seine wölfische Natur an. Statt wie ein kleiner Junge zu schmollen, dem die Chance genommen worden war, irgendwann seine Gefährtin fürs Leben zu finden, sollte Talorc dankbar sein, weil Abigail für ihn zumindest begehrenswert war.
Er wusste nicht so genau, warum er seiner Frau, die sich in seine Pelze kuschelte, heute Nacht aus dem Weg ging. Die Situation, in der sie beide steckten, war genauso wenig ihr Fehler wie seiner. Er hatte wenigstens die Wahl gehabt, ob er dem Wunsch seines Königs entsprechen wollte oder nicht. Es mochte sein, dass Abigails Stiefvater ihr angeboten hatte, sie nicht mit ihm zu vermählen. Die Wirklichkeit sah anders aus: Abigails Mutter hätte ihr das Leben noch viel mehr zur Hölle gemacht, wäre der Baron so dumm gewesen, Abigail diese Freiheit zu lassen.
Und Talorc wäre gezwungen gewesen, ihn zu töten. Schließlich hatte er
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