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Im Blut vereint

Im Blut vereint

Titel: Im Blut vereint Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Callow
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können den Sonnenschein noch etwas genießen.«
    Anna Keane blickte aus dem Bürofenster. Die Sonne hatte bereits ihren letzten Zaubertrick des Tages vollführt und sich in eine feurig orangefarbene Kugel verwandelt, deren Strahlen die Dächer der vorbeifahrenden Autos in warmem Gold aufscheinen ließen. »Bis ich aus dem Büro komme, ist die Sonne weg.«
    Die Worte klangen in Kate nach, während sie mit schnellen Schritten die Eingangstür ansteuerte. Das Foyer erschien ihr plötzlich erdrückend. Sie musste unbedingt hinaus ins Helle. Sie riss die Eingangstür auf und wäre die Treppe fast hinuntergerannt. Auf dem Weg zum Auto spürte sie warmen Sonnenschein auf dem Haar. Enid und Muriel warteten schon.
    »Diese Frau!«, sagte Enid, sobald Kate in Hörweite war. »Sie lügt!« Enid hielt ihre Handtasche fest umklammert, die Haut über ihren Knöcheln schimmerte weiß.
    »Ich weiß.« Kate öffnete ihr die Autotür. »Ich denke, sie hat einen Fehler gemacht und will es nicht zugeben.«
    Enid half Muriel auf die Rückbank und setzte sich neben sie. »Oh nein, das war kein Fehler.« Sie blickte Kate an. »Sie hat mich bewusst täuschen wollen.«
    Kate blickte ihr forschend ins Gesicht. »Sind Sie da sicher?«
    Enid zog ein zusammengefaltetes Stück Papier aus ihrer Handtasche. »Das habe ich im Gehen mitgenommen.« Sie wedelte damit vor Kates Nase herum. Kate fasste danach und faltete es auseinander. Dabei achtete sie darauf, hinter der offenen Autotür zu bleiben, damit Anna Keane sie vom Fenster aus nicht beobachten konnte.
    Kate überflog den Text. Enid hatte ein Einwilligungsformular für die Organspende eingesteckt. Insgeheim bewunderte Kate sie für ihre Klugheit. Als sie zum letzten Absatz kam, musste sie die Sätze zweimal lesen, bevor sie überzeugt war, nichts missverstanden zu haben:
    Nach dem Ableben Ihres Angehörigen haben Sie die Möglichkeit, etwas zum Wohl der Menschheit tun. Spenden Sie die sterblichen Überreste Ihres Angehörigen zu Forschungszwecken dem Projekt »Neuromuskuläre Erkrankungen« unter Leitung von Dr. Ronald Gill, Wissenschaftler an der Hollis University. Tragen Sie mit dazu bei, das Leben vieler Menschen positiv zu verändern.
    »Was habe ich gesagt? Sie lügt.«
    »Wo haben Sie das her?«, fragte Kate. Unter dem Informationsmaterial, das im Foyer auslag, hatte sie dieses Blatt nicht bemerkt.
    »Der Tisch mit den normalen Broschüren hat eine Schublade. Bei meinem ersten Besuch habe ich gesehen, wie Anna Keane das Formular dort herausgenommen hat, also wusste ich, wo ich nachschauen muss. Sie denkt, ich verliere den Verstand, aber die alte Birne funktioniert noch tadellos.« Sie tippte sich an den Kopf.
    »Darf ich das behalten?«, fragte Kate. »Ich würde Dr. Gill gern einen Besuch abstatten.«
    Enids Augen funkelten. »Tun Sie das. Mal sehen, was er selbst dazu sagt.« Sie warf einen Blick auf ihre Schwester, die mit zitternden Lippen lächelte. »Und machen Sie ihm eins bitte klar: Auch wenn er hundertmal glaubt, der Menschheit einen großen Dienst zu erweisen, er tut es auf Kosten von ahnungslosen Menschen wie uns.« Enid nahm Muriels Hand.
    Kate schloss die hintere Tür und setzte sich ans Steuer. Im Auto war es stickig. Sie kurbelte das Fenster hinunter, erinnerte sich dann an die beiden Damen auf der Rückbank und schloss es halb. Während sie sich vorsichtig in den Verkehr einfädelte, ging sie in Gedanken das Gespräch mit Anna Keane noch einmal durch.
    Die Frau musste gelogen haben. Junge, die hatte es drauf. Beim ersten Besuch war Kate vollkommen auf die Masche mit der mitfühlenden Bestatterin hereingefallen. Aber war das alles wirklich nur gespielt gewesen? Sie glaubte nach wie vor, bei Anna Keane ein gewisses Einfühlungsvermögen gespürt zu haben.
    Sehr weit reichte dieses Einfühlungsvermögen jedoch offenbar nicht. Sie hatte definitiv versucht, Enid mit einem Trick dazu zu bringen, Muriels sterbliche Überreste diesem Dr. Gill für seine Forschungen zu überlassen. Was steckte dahinter? Übermäßige Begeisterung für die medizinische Forschung? Oder etwas anderes?
    Kate sah in den Rückspiegel. Enid wischte gerade ein paar Flusen von Muriels altem schwarzem Mantel. Muriel musste doch kochen vor Hitze. Jetzt kurbelte Enid ihr eigenes Fenster komplett herunter. Kate verkniff sich ein Lächeln. In ihrem Wagen saßen ganz offensichtlich keine gebrechlichen alten Damen – jedenfalls nicht das, was man sich gewöhnlich darunter vorstellte.
    Zwanzig Minuten später

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