Im Blut vereint
wuscheligen Haarschopf ihres Sohnes. »Mein Mann ist nicht zu Hause.«
»Können Sie uns sagen, wo wir ihn finden?« Der kleine Junge zog Ethans Blick auf sich wie ein Magnet. Die Spielzeuglokomotive hatte er jetzt in den Mund gesteckt und nuckelte daran, ohne Ethan aus den Augen zu lassen.
»Steckt mein Mann in Schwierigkeiten?« Dr. Clares Blick glitt von Ethan zu Lamond. »Was im OP passiert ist, war nicht seine Schuld.«
»Wir haben ein paar Fragen an ihn«, sagte Ethan.
»Da kommen Sie zu spät, Detective.« Ihr Gesicht verhärtete sich, bis ihre Lippen zu zittern begannen. »Er wurde heute früh ins Krankenhaus eingeliefert.« Der kleine Junge sah ängstlich zu seiner Mutter auf und lehnte sich an ihr Bein.
Schmerz, Trauer, Verzweiflung – all das war Dr. Clare nur zu deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und richtete sich auf. »Es tut mir leid, normalerweise bin ich nicht so.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf das Baby. »Die Hormone …«
Das Baby bewegte sich ein wenig, vielleicht weil es Blähungen hatte, und verbarg den Kopf mit dem feinen Haarflaum an Dr. Clares Schulter.
»Weshalb ist Ihr Mann im Krankenhaus?«
Schützend umfasste sie den Nacken des Babys. Ihre Stimme war heiser vor Trauer. »Er verliert den Verstand.«
Das Baby schrie plötzlich schrill auf.
40
Mittwoch, 16. Mai, 12:00 Uhr
»Kurierdienst
InstantExpress
, bitte warten Sie.«
Kate wartete und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum.
»Was kann ich für Sie tun?«, meldete sich schließlich ein Mann. Es klang ziemlich gestresst.
»Hier ist Becky von
BioMediSol
. Ich möchte mir eine Abholung bestätigen lassen. Freitagnachmittag, 14:00 Uhr.«
»Einen Moment bitte, ich schaue kurz nach …«
Kate hörte, wie Seiten umgeblättert wurden. Dann kam der Mann wieder ans Telefon. »Die Abholung ist für Donnerstagabend eingetragen, ab 17:00 Uhr.«
Kate stieß einen leisen Seufzer aus. »Ich weiß nicht, wer das arrangiert hat, aber die Abholung sollte am Freitag erfolgen.«
»In Ordnung, ich ändere das.«
»Können Sie bitte auch noch nachprüfen, ob Sie die richtige Adresse haben?«
»1266 Spicer Drive?«
Kate lief ein Schauder über den Rücken. »Ja, das ist richtig. Also, bis dann.«
Sie legte auf.
1266 Spicer Drive. Diese Adresse kannte sie. Sie war diese Woche schon dort gewesen.
BioMediSol
hatte seinen Sitz im Bestattungsinstitut von Anna Keane.
Auf einmal passte alles zusammen. Sie verstand nun, weshalb Anna Keane versucht hatte, sich Muriels sterbliche Überreste zu sichern, und weshalb John Lyons
TransTissue
empfohlen hatte, einen Vergleich mit den Klägern anzustreben.
Sie schaute aus dem Fenster. Im Geist ging sie das gesamte Komplott noch einmal durch, in all seinen Facetten. Sie konnte keinen Schwachpunkt erkennen.
Das Ganze war so brillant, dass es ihr die Sprache verschlug. Anna Keane konnte jeden Kunden fragen, ob er seine sterblichen Überreste »für wissenschaftliche Zwecke« spenden wollte. Oder sie fragte die Angehörigen. Danach stellte sie die Leiche
BioMediSol
zur Verfügung.
BioMediSol
wiederum entnahm Gewebe und belieferte damit Krankenhäuser, Forscher, Hersteller von Gewebeprodukten und pharmazeutische Unternehmen. Nach kanadischem Recht durfte Gewebe zwar nicht verkauft werden, aber das Unternehmen, das es entnahm, konnte eine »Gebühr« erheben, um seine Ausgaben zu decken. Und das Gesetz von Angebot und Nachfrage sorgte dafür, dass auch hohe Gebühren gezahlt wurden, wenn das Gelieferte nur dringend genug gebraucht wurde.
Kate kramte in ihrer Handtasche und fand das Einwilligungsformular, das Enid heimlich aus dem Bestattungsinstitut entwendet hatte. Darauf stand, dass die Leichen für Forschungen zu neuromuskulären Erkrankungen unter der Leitung von Dr. Ronald Gill verwendet wurden.
BioMediSol
wurde darin mit keinem Wort erwähnt.
Benutzte
BioMediSol
Dr. Gills Forschungen für eigene Zwecke, indem die Firma alles weiterverkaufte, was er nicht benötigte?
Oder, noch grausiger, war das Forschungsprojekt vielleicht nur vorgeschoben und Dr. Gill bloß ein Strohmann, um an Leichen zu kommen?
Kate ließ den Motor an.
Ein Besuch bei Dr. Gill war überfällig.
Die Stimmung im Schwesternbereich schien gedämpft. Dr. Mazerski musste als Kollege sehr beliebt sein, wenn das Krankenhauspersonal seinetwegen derart bedrückt war.
Ethan und Lamond zeigten der Stationssekretärin ihre Dienstausweise. »Wir müssen Dr. Mazerski
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