Im Blut vereint
ignorieren. Sie brauchte immer noch ein weiteres Paar Arme für den Eilauftrag. »Hör zu, hier kommt gerade ein Anruf rein. Ich rede mit John. Vielleicht kann er etwas wegen Kate Lange unternehmen.«
Sie legte auf und schaltete auf die andere Leitung um. »
Keane’s Funeral Home
.« Der Anrufer arbeitete in der Leichenhalle und war mit ihr befreundet. Es war wieder eine Leiche für sie hereingekommen. Ein Obdachloser. Er konnte jederzeit abgeholt werden.
Das Glück war ihr hold. Soeben war ihr das letzte Paar Arme auf einem Silbertablett serviert worden. Wenn ihr doch nur ebenso leicht einfiele, wie sie mit Ron Gill und Craig Peters fertig werden sollte.
Sie sah auf die Armbanduhr: 16:28 Uhr. Gerade genug Zeit, um die Leiche zu holen und die Lieferung fertig zu machen, bevor der Kurierdienst sie abholte. Sie griff nach ihrer Handtasche und eilte zur Ladebucht.
Der Verkehr kroch die Brunswick Street entlang. Kate trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. Sollte sie es tun?
Ja, auf jeden Fall. Wenn sie mit ihren Annahmen recht hatte, betrieb Anna Keane unter der Hand einen Leichenhandel, und durch ihre Machenschaften konnten Hunderte oder gar Tausende Menschen infiziert werden.
Die nächste Frage war schon schwieriger.
Hatte sie auch den Mut dazu?
Hatte sie den Mut, sich von ihrer Karriere zu verabschieden? Denn wenn man sie erwischte, wäre sie beruflich erledigt. Keine Aussicht mehr auf einen schnellen Aufstieg bis hin zur Richterbank. Falls man sie wegen Einbruchs verurteilte, würde sie sogar ihre Zulassung als Anwältin verlieren. Dann wäre Schluss mit dem monatlichen Gehaltsscheck. Was bedeuten würde, dass sie ihr Haus verlor. Was wiederum bedeuten würde, dass sie Alaska nicht behalten konnte. Erst recht nicht, wenn sie ins Gefängnis musste.
Sie sah Alaska vor sich. Wie er sie aus seinen leuchtenden blauen Augen anschaute. Wie er jeden Morgen als Erstes die Schnauze in ihre Hand schob und ihr dann sanft über die Wange leckte, damit sie aufstand. Dieses unglaublich weiche, dicke Fell, das zu streicheln sie immer so beruhigte.
Sie biss die Zähne zusammen. Er war das Einzige, was sie liebte. Das Einzige.
Was würde aus ihm werden, wenn sie ihr Haus aufgeben musste? Wenn sie ins Gefängnis kam? Wer würde sich dann um ihn kümmern?
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie blinzelte wütend.
Anna Keane konnte das Leben von Hunderten von Menschen ruinieren. Von Müttern, Vätern, Kindern. Wie sollte Kate jemals wieder in den Spiegel schauen können, wenn sie ihren Verdacht ignorierte?
Aber wie sollte sie je ihre Selbstachtung wiedergewinnen, falls sie wegen des Einbruchs in Anna Keanes Bestattungsinstitut im Gefängnis landete? Wenn sie so hart auf berufliche Erfolge hinarbeitete, dann doch um zu beweisen, dass sie anders war als ihr Vater.
Und nun trat sie sehenden Auges in seine Fußstapfen …
Sie umfasste das Lenkrad fester.
Sie durfte sich eben nicht erwischen lassen.
Leichter gesagt, als getan. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man einen Einbruch bewerkstelligte. Himmel, sie wusste nicht einmal, wonach sie Ausschau halten sollte.
Doch als sie endlich in die Wohnstraße hinter
Keane’s Funeral Home
einbog, hatte sie eine Art Plan. Sie würde sich zunächst einen ersten Eindruck von den Örtlichkeiten verschaffen und nach einer Möglichkeit suchen, ins Gebäude zu gelangen. Später am Abend würde sie dann wieder herkommen und irgendwie einbrechen. Drinnen würde sie nach Unterlagen suchen, die belegten, dass Anna Keane illegal Leichen an
BioMediSol
lieferte. Das schien zwar alles ein wenig optimistisch, aber etwas Besseres fiel ihr im Moment nicht ein.
Deswegen bist du auch Anwältin geworden und nicht Kriminelle. Du hast zu wenig Fantasie.
Der Gedanke munterte sie seltsamerweise ein wenig auf.
Sie hielt am Straßenrand. Hinter dem Bestattungsinstitut befand sich ein Parkplatz, aber dort standen keine Autos, die ihr Schutz geboten hätten. Also parkte sie unter einem Baum. Am einen Ende des Parkplatzes standen ordentlich aufgereiht Müllcontainer.
An der entfernteren Gebäudeflanke gab es einen niedrigen Anbau mit einem hohen Schornstein. Das sah nach einem Krematorium aus. Dort wurden vermutlich Dr. Gills ausgeweidete Leichen zu Asche verbrannt. Am anderen Ende stand ein Leichenwagen vor einer Ladebucht. Die schwarzen Hecktüren waren weit geöffnet wie die Flügel eines großen Käfers.
Anna Keane überquerte eben die Ladebucht und schob eine Transportliege vor sich her.
Weitere Kostenlose Bücher