Im Blut vereint
ihrem Schreibtisch. 9:01 Uhr. Es fühlte sich eher wie Mittag an. Kein guter Start in die Woche. Genau da lag das Problem. Sie fühlte sich, als wäre die letzte Woche nie zu Ende gegangen.
Kate stand unbeholfen auf und nahm den Hörer ab.
»Kate Lange.« Sie räusperte sich.
»Ms Lange, hier ist Marian MacAdam.«
Vor Schreck bekam sie weiche Knie. Sie sank auf ihren Stuhl. Hatte Marian MacAdam irgendwie erfahren, dass Kates Aufzeichnungen verschwunden waren? Dem Schrecken folgten Schuldgefühle.
»Guten Tag, Mrs MacAdam. Was kann ich für Sie tun?«
»Sie wissen sicher, dass meine Enkeltochter am Samstag beerdigt wurde.«
»Ja.« Kate räusperte sich nochmals. »Ich war da. Es war eine schöne Trauerfeier.«
»Ja, das stimmt«, sagte Marian MacAdam ein wenig gepresst. »Aber deshalb rufe ich nicht an.«
Also rief sie tatsächlich wegen der fehlenden Notizen an. Kates Körper löste Alarm aus: Ihr Puls begann zu rasen, und ihr wurde heiß. »Ja?«
»In der Nacht, in der Lisa ermordet wurde, ist sie an ihren Lieblings…« Marian MacAdam unterbrach sich. »Sie war an der Straßenecke, wo sie immer Drogen gekauft hat.«
»Richtig.« Kate wurde plötzlich bewusst, wie kühl sich der Telefonhörer an ihrer Wange anfühlte. »Das stand in der Zeitung.«
»Sie hat dort ein paar Freunde getroffen.« Marian MacAdam schwieg kurz. »Eine von den Freundinnen war bei der Beerdigung. Ein schwarzes Mädchen namens Shonda.«
»Ah ja.« Kate hatte die Trauerfeier nur ganz verschwommen in Erinnerung. Sie hatte niemanden dort wirklich wahrgenommen, außer Ethan.
»Ich mache diesen sogenannten Freunden zwar große Vorwürfe, weil sie Lisa zum Drogenkonsum ermutigt haben, aber für das, was ihr zugestoßen ist, sind sie in meinen Augen nicht verantwortlich.«
Und wer ist in Ihren Augen verantwortlich?
Die Stimme ihres Gewissens wollte keine Ruhe geben.
Sie selbst, weil Sie behauptet haben, Sie hätten keine Beweise für eine Selbstgefährdung? Hope Carson, weil sie Lisa zu diesem Verhalten getrieben hat? Oder ich, weil ich nichts unternommen habe?
»Lisas Tod hat diese Shonda sehr mitgenommen«, fuhr Marian MacAdam fort.
»Uns alle«, sagte Kate leise.
»Sie hat mir nach der Beerdigung ein paar Dinge erzählt, die mich beunruhigen.« Marian MacAdam senkte die Stimme.
Kate atmete tief ein. In Marian MacAdams Stimme schwang etwas mit, das sie noch nicht deuten konnte. Doch sie spürte, dass sie es gleich erfahren würde.
»Sie hat gesagt, dass außer Lisa auch schon andere Mädchen aus der Drogenszene verschwunden sind.«
Kate war beunruhigt, doch sie zwang sich, es nicht durchklingen zu lassen. »Wirklich?«
»Sie hat gesagt, es wäre öfter passiert.«
»Diese Straßenkinder kommen und gehen. Das ist keine feste Gruppe.«
»Mag sein, aber Shonda scheint zu glauben, dass mehr dahintersteckt.«
»Hat sie es der Polizei gesagt?«
»Ja, aber da hieß es nur, man könne nicht viel unternehmen.«
»Warum denn das?« Kate konnte sich kaum vorstellen, dass Ethan einer solchen Spur nicht nachgehen würde.
»Weil nichts darauf hinweist, dass die Mädchen umgebracht wurden. Und sie sind schon seit Monaten verschwunden.«
»Dann hat es vielleicht wirklich nichts mit dem zu tun, was Lisa zugestoßen ist.«
»Vielleicht. Aber ich habe Shonda gesagt, es gäbe da jemanden, der das für sie überprüfen kann.«
Kate sank das Herz. »Das haben Sie gesagt?«
»Ja. Ich dachte, Sie würden uns vielleicht helfen wollen.«
»Ich helfe Ihnen gern, Mrs MacAdam, aber …«
Aber was? Ich möchte mir nicht die Hände schmutzig machen?
Kate schloss die Augen. Ihre Schuldgefühle ließen sich nicht einfach ignorieren. Marian MacAdam hatte sie am Haken, und das wusste sie auch. Kate schluckte. »Was genau soll ich denn für Sie tun?«
»Shonda hat ungern mit der Polizei zu tun, wegen ihrer Vorgeschichte natürlich.« Marian MacAdam machte eine taktvolle Pause. »Sie wissen schon. Sie lebt auf der Straße.« Kate konnte die Einstellung des Mädchens verstehen. Wenn man einmal als Versager abgestempelt war, fiel es schwer, um Hilfe zu bitten. »Vielleicht können Sie herausfinden, wer die vermissten Mädchen sind, und sozusagen als Mittlerin zwischen Shonda und der Polizei fungieren.«
Kate musste lächeln, obwohl ihr nicht danach zumute war. Marian MacAdam hatte keine Ahnung, wie die Polizei arbeitete. Und wie man dort gerade auf ihre Einmischung reagieren würde.
»Ich weiß nicht, ob das klappen würde …« Kate rieb sich die
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