Im Blutkreis - Roman
nicht, und Sie können mir glauben, ich habe das sehr aufmerksam verfolgt. Ich habe sogar einen Antrag gestellt, zurückkehren und weitere Untersuchungen durchführen zu können, aber da es sich nur um einen einzigen Fall gehandelt hatte, hat die Institutsleitung es nicht für sinnvoll erachtet, mir die Mittel für ein solches Vorhaben zu bewilligen, das verlangt hätte, dass ich mehrere Monate vor Ort bin.«
Der Virologe stand auf, öffnete das Fenster und setzte sich dann auf eine freie Ecke seines Schreibtischs.
»Wie ist diese junge Frau Ihrer Meinung nach infiziert worden?«, fragte Nathan.
»Das ist schwer zu sagen. Wenn es sich um Ebola handelt, was ich nach wie vor für am wahrscheinlichsten halte, sind mehrere Szenarios denkbar… Wenn man davon ausgeht, dass sie das einzige Opfer war, bedeutet das, dass sie vielleicht Buschfleisch gegessen hat, einen Affen oder irgendein anderes wildes Tier, das mit dem Virus infiziert war. Aber ich wiederhole,
das ist rein hypothetisch, zumal wir überhaupt nicht wissen, welche Tierart der Träger der Filoviren ist.«
»Professor … Was ich jetzt sage, wird Ihnen gewiss merkwürdig vorkommen, aber wäre es abwegig anzunehmen, dass diese junge Frau durch Inokulation infiziert worden ist?«
»Sie meinen, eine dritte Person hat ihr das betreffende Virus gespritzt?«
»Ja.«
»Ich denke, das ist reine Fiktion.«
»Erinnern Sie sich an die letzten Worte, die sie gesagt hat?«
»Nein… nicht genau.«
Nathan zog den Bericht aus seiner Tasche und reichte ihn Derenne.
»Hier, lesen Sie. Sie selbst haben sie festgehalten.«
Der Virologe konzentrierte sich einen Augenblick auf das Dokument und hob dann den Kopf.
»Sie meinen doch nicht etwa diese Geschichte mit den Dämonen?«
»Doch.«
»Dann lassen Sie mich Ihnen sagen, dass Sie auf dem Holzweg sind. Die Leute aus Ruanda sind sehr religiös … Ich denke, das hatte mehr mit der Angst zu sterben zu tun. Diese junge Frau betete für ihr Seelenheil. So etwas habe ich Hunderte Male erlebt.«
Aber Nathan wusste sehr gut, dass es sich nicht um Gebete handelte. Auf unerklärliche Weise war dieses Opfer aus der Hölle geflohen, die es mit eigenen Augen gesehen hatte, es war seinen Henkern entkommen und hatte sie benannt …
Der Virologe wurde ungeduldig. Er blickte ostentativ auf seine Uhr.
»Mir scheint, wir schweifen von unserem Thema ab. Wenn Sie mir erzählen würden, was Sie entdeckt haben…«
»Beantworten Sie meine Fragen«, befahl Nathan. »Ich verspreche Ihnen, Sie werden es nicht bereuen.«
Derenne, der es sichtlich nicht gewohnt war, dass man in diesem Ton mit ihm sprach, schien verwirrt. Sein Schweigen ermunterte Nathan fortzufahren.
»Ist es Ihrer Meinung nach möglich, ein Virus als … biologische Waffe zu benutzen?«
»Natürlich. Wir verfügen heute sogar über das Wissen und die Werkzeuge, die es erlauben, ›maßgeschneiderte‹ Viren herzustellen. Die viralen Genome sind in der Regel sehr klein, aber wir können sie entschlüsseln. Wenn ihre Sequenz bestimmt ist, kann man sie manipulieren, ja sogar vollständig synthetisieren und dadurch biologische Entitäten herstellen, die infektionsauslösende Eigenschaften haben und zur Replikation fähig sind.«
»Seit wann sind solche Manipulationen technisch möglich?«
»So wie ich sie gerade beschrieben habe… ich würde sagen, seit den fünfziger Jahren. Aber die Idee biologischer Waffen beschäftigt die Menschen schon seit vielen Jahrhunderten. Es gibt mehrere berühmte Beispiele: Die Tartarenkrieger, die während der Belagerung von Kaffa auf der heutigen Krim im… vierzehnten Jahrhundert, glaube ich, von einer Pestepidemie dahingerafft wurden, kamen auf die furchtbare Idee, ihre pestinfizierten Leichen in die belagerte Stadt zu katapultieren. Der Erreger der Pocken, von dem wir vorhin sprachen, ist durch kontaminierte Kleidung, die die Spanier den Inkas während der Conquista schenkten, auf diese übertragen worden. In jüngerer Zeit starben 1945 an die dreitausend Gefangene in den japanischen Todeslabors in der Mandschurei. Ihre Henker hatten ihnen Erreger der Pest, des Milzbrands, der Cholera und des Maltafiebers injiziert. Es gibt noch Dutzende von Beispielen …«
Nathans Herz begann wie wild zu schlagen, als er das hörte. Ohne es zu wissen, hatte Alain Derenne ihm da vielleicht gerade eine entscheidende Information geliefert. Aber da war noch ein wichtiger Punkt, der geklärt werden musste: das Ziel der Expedition der Pole Explorer
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