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Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Walser
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Schreiblehrer, er solle Büroangestellter zu werden trachten; das sei für ihn offenbar das beste.
    Späterhin trat er in der Tat in ein Büro und war nichts weniger als unarbeitsam; vielmehr erwies er sich als denkbar brauchbar. Er arbeitete jedoch ganz mechanisch. Sein Kopf war meist anderswo: in irgendeinem Unbestimmten, Undeutlichen. Es zeigte sich, daß er eine Art Träumer sei. Der Träumer war aber mit seiner Träumerei keineswegs einverstanden. Er hielt dieselbe für schädlich; doch bemühte er sich vergeblich, sich von ihr zu befreien. Er hätte lieber nie träumen mögen. Die Neigung war ihm aber sozusagen angeboren; sie lief ihm nach wie ein treuer Hund. Wohl gab er sich redlich Mühe, sie zu vertreiben; doch sie kam immer wieder zu ihm hin, um sich ihm anzuhängen. So träumte er denn fleißig weiter. Er war arm, und ein Gedanke sagte ihm, daß er dies immer sein würde. Er fand es ganz natürlich.
    Ich sagte oben, daß er zur Seite ging, um zu studieren; es ist dies durchaus wahr. Er wollte nämlich seinen wahren Beruf ausfindig machen. Die Tätigkeit im Büro hielt er nicht für seinen wahren Lebenszweck. Da er sich nach einer Aufgabe sehnte, in die er völlig aufgehen könnte; nach einer Sache strebte, die ihn gänzlich gefangen nehmen würde, so sagte er adieu und ging fort, obschon er in keiner Weise wußte, wohin. Ihm war es aber zunächst ganz einfach nur ums Fortmarschieren zu tun. Alles weitere, sagte er zu sich selbst, würde sich finden.
    Er senkte sich in die Einsamkeit, wo er zunächst eher weinte als frohlockte; denn er glaubte sich von allem Schönen und Guten völlig verlassen. Ja, dies war eine bittere Erfahrung. Nur langsam beruhigte er sich. Er überlegte, wieviel Geld er habe. Die Frage drängte sich dem Arbeitslosen von selber auf. Er war jetzt arbeitslos, und sein ganzes Denken war darauf gerichtet, auf welche Art er sich beschäftigen könne. Sein trauriges, blasses halb erfrornes Stübchen lag sehr abseits. Es war kalt im Zimmer; doch dann und wann schien die Sonne.
    Da er den ganzen Tag am Tisch saß und unwillkürlich den Federhalter in die Hand nahm, weil er bisher zu schreiben gewöhnt gewesen war, so kritzelte er, um nur in all der Stille und Langeweile irgend etwas zu tun, krauses Zeug auf einen Bogen Papier, Striche, kleine Häuser, Figuren wie Bäume, Mond und Sterne oder einen Vogel, oder er schrieb hin: »Ich bereue sehr, auf und davon gegangen zu sein, um einen höhern Sinn aufzustöbern. Ich wünsche nichts so lebhaft, als daß ich geblieben wäre, wo ich war. Mir war so wohl. Weshalb sah ich das nicht ein? Doch man sagt ja, Einsicht komme spät.«
    An solche und ähnliche sonderbare Sätze flocht er ausschweifende Dekorationslinien, runde, weiche oder spitzige und krallige.
    So saß er also die ganze Zeit in einem Sehnen nach dorthin, wohin er seiner Natur gemäß hinpasse. In seiner Phantasie erstieg er alle erdenkliche Stufen und lief in Gedanken durch allerlei Art Leben.
    Stundenlang lauschte er auf seine Einfälle, wobei er grad vor sich hin an die Wand oder auch durchs Fenster schaute. Sein Blick war dabei heiter; die Miene ruhig und freundlich. Nach und nach gefiel er sich in diesem Zustand. Er fand es schön, sich mit reiner Vorstellung zu befassen und die Gedanken anzuschauen. Er langweilte sich nie dabei. Das Eintönige wurde ihm zur Gewohnheit; dann zum Bedürfnis …
    (1918)

Erich
    I n einem Bureau schrieb ein junger Mann fromm und zart und artig; jeden Sonntag ging er in die Kirche, seinen Geschwistern schrieb er Briefe, erzählte ihnen darin, wie es ihm gehe, beschrieb diese und jene Eigentümlichkeit und bat am Schluß jeweilen um Antwort. Seine Eltern würden sich um ihn bekümmert haben, wenn ihnen noch Leben gegönnt gewesen wäre. Vor lauter Bedachtsamkeit war er blaß, vor lauter Feinheit des Fühlens fühllos. Am Pult stützte er oft den Kopf in die Hand, träumte vom Erleben einer Geschichte, aber es wollte sich nichts Unalltägliches ereignen. Gewiß bewohnte er ein Zimmer mit Alkoven, töpperlete mit dem Finger an die Wand, so daß der Nachbar herüberrief: »Was wollen Sie?« – »Ich langweile mich«, gab er zur Antwort, »und das Geklöpfel und Bedeutel bedeutet weiter nichts als Gebrauchmachen von einer Möglichkeit der Zerstreuung.« – »Wollen Sie's, bitte, unterwege lassen, es stört mich.« Erwidert wurde: »Fürchten Sie keine Unterbrechungen mehr.« Die Zimmervermieterin brachte ihm jeden frühen Morgen den Kaffee; sie war rund wie

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