Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
noch früh genug an. Nur nicht allzu eifrig sein. Großer Eifer schadet ja bekanntlich manchmal bloß. Mit der Gewissenhaftigkeit kann man es leicht übertreiben. Pflichttreue ist in vielen Fällen nur ein Esel.« So summte und surrte unserem Helbling eine Fliege um die Nase, als er wieder einmal recht eilig aufstehen und zur Pflicht rennen wollte. »Du scheinst mir witzbegabt, aufgeweckt und weitblickend zu sein. Was du sagst, hat Faden, potztausend! Und ich wäre ein Narr, wenn ich mich mit deiner Anschauungsweise und mit der Art, wie du die Dinge beurteilst, nicht sogleich einverstanden erklärte. Du redest ja wie ein Gelehrter, liebe Fliege«, dachte er und blieb liegen. Auf die Frage Meister Haslers, weshalb er eigentlich immer Verspätungen eintreten lasse, die ebenso bemerkenswert wie anschaulich, ebenso glänzend wie im Grunde jedoch außerordentlich bedauerlich seien, erwiderte er: »Eine Fliege …« und wollte lang und breit wiederholen, was ihm dieselbe vorgesurrt hatte, aber Herr Hasler schnitt ihm den Redefaden kurzerhand ab, indem er »Faule Ausrede« sagte. Mehr sagte er nicht, dachte sich jedoch dafür desto mehr.
»Was? Schon aufstehen willst du? Warum nicht gar! Bleibe lieber im Bett; rechtzeitig aufstehen ist lächerlich, absurd! Zu befürchten hast du nichts, Herr Hasler ist ja ein gar geduldiger, scharmanter Mann«, trällerte ihm eine Amsel ins Ohr, als er sich wieder einmal beeilen wollte. »Gut gesagt, ungemein gut gesprochen«, dachte der Spätaufsteher und blieb liegen, und wieder gab es eine wahrhaft prächtige Verspätung, wegen der er neuerdings getadelt wurde, was aber gar nichts schadete, weil ja, wie die Amsel geträllert hatte, Herr Hasler ein gar geduldiger Mensch war.
»Faule Ausrede«, sprach Herr Hasler nur wieder, als Helbling mit faulen Ausflüchten erstaunlich flink daherkam.
Langmut und Geduld nehmen aber schließlich ein Ende. Güte und Nachsicht haben ihre Grenzen. Als immer schönere und reichere Verspätungen zustande kamen, hatte es endlich Herr Hasler satt, und eines schönen Tages, im Winter oder im Sommer, es kommt nicht so genau darauf an, wurde Helbling zu verstehen gegeben, daß er gehen könne, womit gemeint war, daß er entlassen sei. Indem man ihm zart andeutete, daß man seiner von nun an nicht mehr bedürfe, wurde er gewissermaßen aufgefordert, sich völlig frei und unabhängig zu fühlen, und indem man ihn freundlich bat, auf den Posten, den er bis dahin bekleidet hatte, gefällig verzichten und sich behufs passender Beschäftigung anderweitig umschauen zu wollen, dankte man ihm für die geleisteten vorzüglichen Dienste sowohl wie für die vielen zustande gebrachten wertvollen Verspätungen herzlich.
Mit etwas weniger gewundenen und verschleierten Worten: Helbling wurde mit Schand und Spott oder mit Spott und Schand (falls letzteres vorteilhafter klingen sollte) fortgeschickt und weggejagt, und von da an langte kein Helbling mehr zu spät zur Arbeit an, es kam zu keinen faulen Ausreden und flinken Ausflüchten mehr, kein Hasler brauchte sich mehr über Verspätungen zu ärgern, denn es tauchte keinSpätling mehr mit verschlafenem Gesicht auf. Helbling durfte jetzt so lange liegen bleiben als es ihm behagte, es kümmerte sich niemand mehr darum und kein Hahn krähte mehr danach.
(1917)
Der Sekretär
I ch war so dreist gewesen, ein Buch zu schreiben, das ziemlich viel Aufsehen erregte. Die Folge davon war, daß ich ungezwungen zu Leuten von Bedeutung gehen durfte. Ernsthafter und feiner Häuser Türen standen mir sozusagen sperrangelweit offen, das war auf alle Fälle ein Glück für mich. Ich brauchte nur einzutreten und acht zu geben, mich möglichst beständig angenehm zu betragen. Einmal setzte ich den Fuß in eine Gesellschaft von mindestens vierzig vollblütigen Berühmtheiten. Man suche sich den Glanz vorzustellen!
Der kommerzielle Leiter einer Vereinigung bildender Künstler forderte mich eines Tages wohlgewogenermaßen auf, sein Sekretär zu werden. »Ich hoffe«, sprach er, »daß Sie ebensogut Bilder zu verkaufen wie Bücher zu veröffentlichen imstande sind!« Das Anerbieten war zu liebenswürdig, als daß es sorglos hätte abgelehnt werden können. Indem ich auf den Vorschlag einging, nahm ich mir vor, mich von nun an für einigermaßen bemerkenswert zu halten. Ich fühlte mich verpflichtet, mir zu sagen, daß derjenige, der bei Förderungen, die er erlebt, weder Genugtuung empfindet noch Vergnügen zeigt und Zufriedenheit äußert, die
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