Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
Allgemeinheit beleidigt.
Es liegt auf der Hand: Scharfen Verstand, überlegene Intelligenz, hohen oder höchsten Grad von Bildung und Gesittung sollen, falls dies irgendwie denkbar wäre, Sekretäre an den Tag legen. Schon ihre äußere Erscheinung wird selbstverständlich propre und vornehm zu sein haben. Man nimmt an, daß sie geschmeidig und zugleich gescheit, glatt, galant und zugleich in jeder Hinsicht entschlossen seien, gute Geschäfte zu erzielen. Feine Manieren und glänzendes gesellschaftliches Können sind ihnen entschieden angeboren.
Ich weiß nicht, ob ich wirklich alle diese Eigenschaften aufwies, so viel aber weiß ich, daß in meinem Sekretariat die halbe hauptstädtische Welt verkehrte. Personen jeglichen Charakters, allerlei Ranges und Standes drangen mehr oder weniger heftig ins Ministerium, will sagen Hauptquartier hinein: Spitzen der Gesellschaft, elegante Agenten, armes Wandervolk, gerissene Zigeuner, wilde Dichter, beängstigend vornehme Damen, mürrische Fürsten, bildhübsche jugendliche Offiziere, Schriftsteller, Schauspielerinnen, Bildhauer, Diplomaten, Politiker, Kritiker, Publizisten, Theaterdirektoren, Virtuosen, gefeierte Gelehrte, Verleger und Finanzgenies. Ein und aus ging Längstobenangekommenes wie Untenherumtastendes und Hochemporstrebendes; hellstrahlende und glänzende wie düstere und beklemmende Existenzen. Gleich merkwürdigem Maskenzuge spazierte herein: jung und alt, arm und reich, gesund und gebrechlich, hoch und niedrig, fröhlich und grämlich, glücklich und unglücklich, frech und schüchtern, heiter und traurig, hübsch und häßlich, artig und unartig, glanzumwoben und schäbig, angesehen und niedergeschlagen, stolz und hilfeflehend, berühmt und unbekannt, Gesichter, Gesten und Gestalten von allen Gattungen.
Kunstausstellungen vorfolgen bekanntlich den Zweck, Kunstwerke auf vorteilhafte Art sichtbar zu machen und Käufer hiefür anzulocken. Der Sekretär spielt die Rolle des Unterhändlers oder Vermittlers zwischen Künstlertum und kunstentflammter breiter Öffentlichkeit. Er hat zu sorgen, daß recht viele Abschlüsse definitiv zustande kommen, fleißig Bilder fortverkauft werden. Interessenten erscheinen aufdem Plan, um vielleicht leider für immer schleunig wieder aus dem Gesichtskreis zu verschwinden. Der Sekretär muß aufmerksam sein, der allerunscheinbarste Mann kann sich als Kenner und Käufer jäh entpuppen.
Eine Zeitlang bildete ich mir ein, äußerst gewandt im Kunsthandel zu sein. Sicher ist, daß ich mich zum behaglichen Droschkenfahren auf freundlich belebter, glitzernd heller Straße und zum stunden- und halbstundenlangen heitern Plaudern mit muntern Künstlerfrauen prächtig eignete. Geistvolle Klubabende zeigten mich scheinbar regelmäßig auf der Höhe. Mit Delikateßplatten verstand ich meisterlich umzugehen – Malerinnen besuchte und ermutigte ich oft und gern. In solcher und ähnlicher Hinsicht bewährte ich mich glänzend. Nachträglich bin ich jedoch zur Überzeugung gekommen, daß ich kein sonderlich wertvoller, kluger, umsichtiger und erfolgreicher Gemäldesekretär gewesen sein kann. Sachverständige zuckten über den Umfang dessen, was ich leistete, einigemal merklich die Achsel. Dem Leiter des Unternehmens schien es zu passen, mit seinem Beamten vorzugsweise über Verse und dergleichen zu reden.
Ein stattlicher Nachfolger stempelte mich bald hernach zum Vorgänger und veranlaßte mich, das Amt niederzulegen, vom Posten abzudanken, feinsinnig Platz zu machen und hübsch anderwärts besorgt zu sein. Mir zu zürnen, weil er so kühn gewesen war, Gaben in mir zu vermuten, die ich nicht offenbarte, oder mich gering zu schätzen, fiel meinem Gönner in keiner Weise ein. Um mir zu zeigen, daß er mir weiterhin freundlich gesinnt zu bleiben gedenke, lud er mich mit höflichen und fröhlichen Worten zum Essen ein.
(1917)
Der junge Dichter
D a er seine Fähigkeiten nicht kannte, so wußte er nicht recht, was er beginnen sollte. Er hatte allerhand Anlagen, wollte dies und das – der Kuckuck weiß was alles. Die Folge war, daß er zur Seite ging, um in einem Winkel über sich hinzubrüten.
Er war guter Eltern Kind, ging ordentlich in die Schule, wo er sich durchaus nicht weigerte, artig und aufmerksam zu sein. Ungemein fesselte ihn die Arithmetik; der Religionsunterricht entzückte ihn.
Weil er eine saubere, nette, flinke Handschrift schrieb und am Zeichnen von Buchstaben eine besondere Freude bekundete, so sagte ihm einmal der
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