Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
ein Apfel und von ebenso gesundem Aussehen. »Wenn Sie's wünschen, will ich Sie heiraten«, sprach der Mieter. Der besann sich nicht sehr lang. Es war so vielsagendes Frühlingswetter, die Straßen so warm, die Leute so leutselig. Sie sagte lachend: »Warum nicht gar? Zum Mann sind Sie mir zu jung. Sie könnten mein Söhnchen sein.« Das fand er nicht interessant. Einigemal besuchte ihn ein Mädchen. Darüber war die Wirtin intrigiert; nein, das nicht, aber sie konnte nicht umhin, zu sagen, wie unlieb es ihr sei, wenn das Fräulein mehr käme. Am Fenster zu stehenund den Kopf in die Luft zu strecken, machte ihn sehnsüchtig. Sehnsüchtig sein heißt nicht wissen, wohin man möchte. Um sich Abwechslung zu leisten, wechselte er häufig sein Zimmer. Abendlandschaften glichen Abendmählern der Natur, der Sonnenuntergang einem Jesusantlitz, die Wälder voll tönender Farbe. Er war innerlich entsetzlich schnell reich und arm, ruhig und unruhig; seine Handschrift deutete auf eine zierliche Borniertheit: er besaß Sinn sowohl für Zwang wie Schwung. Einst kam er in einen Saal, der durch eine dunkeleichene Balustrade in zwei Hälften geteilt war. Schade, daß keine Schöne im Bett lag. Das Gemach kostete vierzig Franken; mehr wie achtzehn monatlich gab er nie für ein Zimmer aus. Er guckte sich rasch durch alle Fenster satt, nahm vom vornehmsten Raum, den er je erblickt hatte, Abschied, ging unglücklich weg, um bald darauf wieder ziemlich glücklich zu werden. Bei ihm handelte es sich immer um ein Wiederaufsuchen der Festigkeit bei häufiger Einbuße derselben. Alles ging ihn viel und nichts an. Nie mit sich einig sein, war eine seiner Eigenheiten; er fand nie den Mut, zu glauben, er könne je von Menschen geliebt sein, hörte aber seine Seele ihn sogleich auch jedesmal darüber trösten. Er hielt sich weder für stark, noch für schwach, wandte sich bald so oder so, je nach der Lage. Ein Jahr oder zwei ohne nennenswerte Freude zuzubringen, schmeichelte seinem Begriff von Ehre. Da ihn die Menschen beinah dauerten, ertrug er sie gern und glaubte fortwährend an ein Glück, nicht des Glückes, aber des Entzückens wegen, das im Glauben liegt. Wir wollen ihn Erich nennen, weil das so ein blonder, Unschuld und Idealismus ausdrückender Name ist. Eine Zeitlang wohnte er in einer engen, aber baulich interessanten Altstadtgasse bei Schneidersleuten und hatte einmal einen Posten nicht länger als einen Tag inne. Dem Prinzipal gegenüber entschuldigte er sich brieflich deshalb so: »Ich sah ein, daß ich in Ihrem Institut schließlich doch nicht hätte gedeihen können, und floh zu meiner mütterlichen Freundin zurück, was ich höflich bitte, menschlich begreiflich zu finden.« Im Elternhaus hatte er die Geschichte von Pieter Maritz gelesen, dem Burensohn, der im Dienst der Seinigen gegen seinen besten Freund kämpfte. An der Gemeindestraße befand sich eine Kaffeestube oder alkoholfreie Wirtschaft, wo man eine Tasse Schokolade für zwanzig Rappen und ein Stück Napfkuchen um denselben Preis haben konnte. Eine Portion Bratkartoffeln kostete fünfzehn Centimes. Vom Fenster aus schaute man in einen herzigen Garten; Blumen schienen dem Essenden zu sagen: »Laß es dir schmecken.« Die Kellnerin tuschelte Erich eines Tages zu, ein Herr habe sich bei ihr nach ihm erkundigt. »Und was sagten Sie ihm?« – »Was konnt' ich ihm sagen, da mir weder Ihr werter Name noch Ihr Tun und Treiben bekannt sind.« – »Ich kenne mich noch selber kaum«, antwortete er, »und traue keiner Hoffnung; irgend etwas sagt mir, es sei ein Glück, sich mit Fragen über seine Bestimmung zu verschonen.« Ins Lokal kam öfters eine so wunderbar behandschuhte, mit so viel Würde ausgestattete Dame, daß es ihm nicht schwerfiel, ihr im Geist ein marmornes, mit kunstvoll gewundenen, herrlichen Treppen versehenes Schloß zu schenken und sich, während er Spiegeleier aß, zu ihrem Pagen zu machen, wofür er sowohl Figur wie Begabung zu besitzen glaubte. Schöne Hände, wie schaute er die fürs Leben gern an! Während sechs Jahren ging er ein einziges Mal ins Konzert. Sparsamkeit mundete ihm wie eine gut zubereitete Speise. Den Menschen sind karge siebenzig Jahre zugemessen. Gott gibt nicht viel, damit das Wenige etwas bedeute, Dankbarkeit nicht aussterbe. Es zog ihn häufig zu Bäumen, die still wurzeln, die die Stelle einnehmen, die ihnen der gab, der sie pflanzte. »Dich hätt' ich gern zum Hausfreund«, meinte eine Frau zu ihm, die ihn nur zum Teil verstand.
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