Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
Solche Rolle würd' er sich nie erlaubt haben. Sich und andere ungenau Anschauende täuschen sich mitunter. Von der Freude hält ein Freudiger nicht viel; ein Glücklicher darf viel Glück verschmähen, weil er überzeugt ist, daß es ihm überall begegnet.
(1925)
Acht Uhr
F rüh auf den Beinen, warte ich die Achtuhrstunde ab. Berühmt ist sie; jedem ist ihre Bedeutung bekannt. Alle kennen ihre stille Unerbittlichkeit. Wie viele horchen nicht auf ihren Schlag; fangen an zu eilen, wenn er ertönt. In Restaurants wird aufgeräumt, Stühle werden auf Tische gestellt. Jetzt ist sie da, diejenige, die uns ernst stimmt, die uns erinnert, daß wir Pflichten zu erfüllen, Obliegenheiten zu erledigen, Arbeit zu bewältigen haben. Sie ruft auf Straßen und Plätzen eine Bewegung hervor, die höchstens der übersieht, der gewöhnt ist, an ihr teilzunehmen. Der Beobachter gerät ob ihr in Staunen. Ja, das ist sie, die Treibende, Zwingende, auf deren Ruf das Heer der täglich Arbeitenden aufmarschiert, Angestellte, Beamte, Schüler, Studenten, jung und alt, männlich und weiblich. Um diese Stunde öffnen Banken, Warenhäuser, Geschäfte aller Art, Schulen usw. ihre Büros, Stuben und Hallen. Industrie und Wirtschaft sind tätig, Fabriken fangen zu hämmern an. Jeder Weg ist belebt, jede Passage wird benutzt. Eisenbahnen und Elektrische befördern Leute dorthin, wo mancher von ihnen lieber nicht säße oder stände, aber was fragt Acht Uhr nach persönlichem Gefühl, Geschmack oder Belieben? Hier ist einer, der auf dem Weg zur Arbeit an das Gespräch denkt, das er vergangenen Abend mit seiner Frau, seiner Freundin, einem von seinen Bekannten führte. Die Einfälle, die er vorbrachte, fallen ihm flüchtig wieder ein; er freut sich ihrer oder ist unzufrieden damit.
Ein anderer hatte Unannehmlichkeiten, die ihn nun belästigen, er bemüht sich, die Erinnerung daran sanft oder unsanft abzuschütteln. Hoffentlich gelingt es ihm. Unbehagenzu verdauen ist gesundheitswidrig. Ein dritter lächelt und legt damit den Beweis seelischen Gleichgewichts ab. Ein vierter denkt an Geldausgaben; der, der neben ihm geht, ans willkommene Entgegengesetzte. Kaum beachtet einer den andern, alle sehen sich schon mit ihren Aufgaben beschäftigt. Die Schuhe der meisten glänzen hübsch, die Mäntel sind gebürstet, die Gesichter gewaschen. Einige tragen Mappen. Andere werden sich, bevor sie von zu Hause fortgingen, gefragt haben, ob sie den Schirm mitzunehmen hätten. Dieser oder jener kam vielleicht nicht mal zum Frühstück.
Einige Minuten nach acht ist das Bild verändert. Die, die eilten, sind an Ort und Stelle; eine gewisse Stille macht sich in der Stadt bemerkbar. Das ist acht Uhr früh; eine andere Sorte von acht Uhr ist die Stunde des Beginnens von Konzert und Theater. Die zweite Art ist weniger unhöflich als die erste; sie ladet mehr ein, als daß sie befiehlt. Sie glitzert, während jene scheinbar ohne jeden Schimmer ist. Aber das Prächtige täuscht oft, indes uns die Befolgung dessen, was uns anfänglich hart vorkommt, zu Fröhlichkeiten führt, die wir nicht erwarteten. Acht Uhr abends wird auch geeilt, aber auf andere Art und in anderem Gewande. Man sieht feine Anzüge, verführerische Toiletten, erwartungsvolle Gesichter, die auf das, was Kunst und Gesellschaft bieten mögen, gespannt sind. Schön ist's, wenn jemand zu beiderlei Stunden gut aufgelegt und gesinnt ist, sie gleicherweise gutzuheißen als Verschiedenheiten, die sich ergänzen; bereit ist, zu leisten, wie zu vergessen, daß er sich anstrengte, beglückt zu sein vermöchte durch beides, von der Berufung wie vom Zerstreuenden, an dem einen gesundend und in einem ruhend wie im andern, indem er das Schwere nicht zu schwer und das Leichte nicht zu leicht nähme, das Nötige sich so angenehm zu machen wüßte wie das Schöne, bei Bemühungen heiter und im Genuß bedächtig bliebe.
(1926)
〈Die Bühne ist ein Büro〉
Der Chef
Ein Zuhörer
Ein jugendlicher Commis
Meier von der Stadt
Meier vom Land
Ein Korrespondent
Laiblin
Ein Unterchef
Ein Arbeitsamer
Die Bühne ist ein Büro
An einer Reihe von Pulten arbeiten Angestellte
Der Chef (gleichviel, welches Aussehen er aufweist, ob er dünn oder dick, schlanker oder untersetzter Figur sei, stellt sich den Zuhörern mit den Worten vor): Die anwesenden verehrten Herrschaften erblicken in mir den Hauptmann der Komptabilität.
Ein Zuhörer: Sie hätten dies nicht zu indizieren brauchen. Wir würden Ihnen rasch
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