Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
vielleicht wesentlich zu zart geworden sein mag. Wodurch wurde es so? Will es sich ändern oder will es so bleiben? Warum frage ich dies? Warum kommen viele Fragen zu mir, leise eine um die andere? Ich weiß beispielsweise, daß ich ohne Fragen leben kann. Ich lebte langeohne sie, wußte nichts von ihnen. Ich war offen, ohne daß sie in mich hereintraten. Jetzt schauen sie mich quasi an, als wäre ich ihnen verpflichtet. Auch ich wurde, wie so mancher, zart. Die Zeit ist zart wie eine Hilfeflehende, Bestürzte. Die Fragen flehen und sind zart und unzart. Die Zartheiten verhärten sich. Der Nichtverpflichtete ist vielleicht der Zarteste. Mich z. B. machen Pflichten hart. Die Angeflehten flehen die Flehenden an, die dies nicht verstehen. Alle diese Fragen scheinen Herren zu sein, und die sich mit den Fragen beschäftigten, Angestellte. Die Fragen schauen sorgenvoll drein und sind sorglos, und die sich um sie bemühen, sorgen für Vermehrung der Fragen, die ihre Beantworter für unzart halten. Der, der sich durch ihr Kommen keinen Augenblick im Gleichgewicht beeinträchtigen läßt, ist zart in ihren Augen. Indem sie ihm gelöst vorkommen, löst er sie. Warum trauen ihnen viele dies nicht zu?
(1928)
Aus dem Leben eines Commis
R asch lebte er sich in der fremden Stadt ein. Am zwölften Mai gelang ihm, in irgendwelchem Restaurant ein Würstchen zu essen. Von seinem Zimmerchen aus schaute er über Dächer. Die Zeit, über die er verfügte, brachte er damit zu, daß er Seiten eines Buches las, das von einem Dichter gedichtet worden war, und daß er einen Bekannten aufsuchte, der ihn mit einem Schriftsteller bekannt machte, der berühmt war.
»Da Sie sicher viel erlebt haben, so sind Sie vielleicht so freundlich und erzählen etwas.«
Als sich der Berühmte dermaßen von der vollkommenen Ungenanntheit aufgefordert sah, gefälligst für Unterhaltung zu sorgen, ließ ihn sein Erstaunen beinahe außer sich kommen.
»Etwas zum besten zu geben, steht eher Ihnen als mir an«, sprach die berühmte Persönlichkeit zur zweifellos mit irgendwelchem Ruhm noch nie in Berührung Geratenen.
Der an sich kaum bedeutungsreiche Auftritt, der aber charakteristisch sein dürfte, fand am neunzehnten Juni abends um zehn Uhr in einer Weinstube statt, die meistens von Dichtern und Künstlern besucht wurde.
Der Held der Geschichte, die hier erzählt wird, war Commis, der zur Zeit stellenlos war, der aber nichtsdestoweniger Frauen gleichsam patent anzuschwärmen verstand. Wie wenn er dabei bloß so in den lieben Tag hineingeträumt hätte, richtete er ein Dienstanerbieten an den Direktor eines nicht unerheblichen Geschäftshauses und stellte sich am 1. Juli persönlich dem Herrn Geschäftsführer nicht ohne Erfolg, zugleich aber wieder gänzlich erfolglos vor.
Folgenden Tages saß er in einem lauschig, will sagen interessant gelegenen Kastaniengarten bei einem vom Sonnenschein, der durchs Blätterdach fiel, schimmernd umkosten Glas Bier, um in aller Beschaulichkeit über seine Fertigkeiten und Unvollkommenheiten nachzudenken, eine Übung, worin er in jeder Hinsicht versiert zu sein schien. Tiefsinnig zu sein und zugleich zu glauben, er erfreue sich weitgehender Sorglosigkeit, kostete ihn keinen Pfennig.
Er hatte bereits am zweiundzwanzigsten Mai ein Heft, das einige saubergeschriebene Gedichte enthielt, die ihm herzustellen geglückt war, einem vornehmen jungen Herrn zur Begutachtung eingesandt. Nachdem er nun mit seinem Glas Bier fertig geworden war, begab er sich in die Wohnung des soeben Erwähnten, um zu vernehmen, was derselbe für eine Meinung bezüglich seines Talentes im Gedichtemachen habe. Es kam zu einer für den Aufgesuchten sowohl wie den Besuchenden verhältnismäßig durchaus angenehmen Besprechung, die sich hauptsächlich auf die Literatur der Zeit bezog. Der vornehme junge Mann setzte sich ans Piano, womit sein Gemach ausstaffiert war. Vor dem Fenster der ausnehmend hübsch gelegenen Wohnung standen Bäume; die Gegend war eine halb städtischelegante, halb ländlichurwüchsige, und die Töne, die der Spielende dem Flügel entlockte, fanden einen stattlichen, freundlichen Raum zum darin aufs natürlichste Verhallen. Vier bis fünf Gedichte des Commis, der sich vielleicht ein bißchen unüberlegterweise sogar schon Glacéhandschuhe angeschafft hatte, erschienen bald danach in einer Zeitschrift, die von einem prächtig fühlenden, freigebig gesinnten, begüterten Gebildeten wahrhaft scharmant finanziert wurde.
Am achten
Weitere Kostenlose Bücher