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Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Walser
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vielmehr, was er vorzubringen beabsichtigte, ausgezeichnet, will sagen überzeugend ausfiel, ging sie auf seinen Vorschlag ein und wurde gewissermaßen seine Herrin.
    Diejenigen, die lieben, umkleiden sich, indem sie den Gegenstand ihrer Neigung erhöhen, mit einer die Schicklichkeit nicht störenden Selbsterniedrigung, ohne die es kein Hinaufschauen zu einem Ideal geben kann. Er ging mit ihr glücklich, d.h. in seiner Eigenliebe in jeder Hinsicht geschmeichelt, spazieren, begab sich mit ihr zum Essen, fuhr in der Eisenbahn mit ihr, bestieg in ihrer Gesellschaft ein Dampfboot, das sie ins Grüne und Freie trug, wo sie sich gestatteten, einig zu sein und in diesem erwünschten Zustand die Reize der Natur zu genießen.
    Auf Grund der Bildung, die sie besaßen, blieben sie, was ihre gegenseitige Genugtuung betraf, vorsichtig und sorgsam.
    Rücksicht zu zeigen, Anerkennung entgegenzubringen, fanden sie schön, und sie hatten recht.
    Andern ging es ähnlich, und sie sahen sie gern froh.
    (1931/32)

〈Lebenslauf〉
    R obert Walser wurde am 15. April 1878 in Biel, Kanton Bern, geboren, wo er durch das Progymnasium hindurchging, worauf er als Lehrling auf die Bieler Filiale der Kantonalbank Bern kam. Die Lehrzeit dauerte drei Jahre. Hernach arbeitete er als Commis in Basel bei den Herren von Speyer & Co. und in Stuttgart bei der »Union«, Deutsche Verlagsanstalt. In Zürich bekleidete er Stellungen auf einigen Banken, wie zum Beispiel der Schweizerischen Kreditanstalt und der Zürcher Kantonalbank. Inzwischen hatte er begonnen zu dichten und widmete sich mit der Zeit dem Beruf der freien Schriftstellerei, lebte sieben Jahre in der deutschen Reichshauptstadt, siedelte nach Biel und Bern über und trat 1929 krankheitshalber in die »Waldau« und von da in die Heilanstalt Herisau ein.
    (1946)

»Er gehorcht gern und
widersetzt sich leicht.«
Zur Figur des Angestellten
bei Robert Walser
    Das Umschreibungsamt war, wie jedermann weiß, ohne daß man es ihm zu sagen braucht, die wichtigste Regierungsstelle.
    Charles Dickens

Geburtshelfer der Moderne
    A ls Robert Walsers Text Der Commis am 22. Juni 1902 im Berner Sonntagsblatt des Bund veröffentlicht wird, versieht ihn der verantwortliche Redaktor Joseph Victor Widmann mit einer Begleitnotiz: »Wir wünschen, daß diese zwischen Scherz und Ernst in allen möglichen Lichtern und Farben spielenden Variationen über das Thema ›Der Commis‹ als eine publizistische Aufmerksamkeit angesehen werden, die wir dem soeben sein Jahresfest in der Bundesstadt feiernden Kaufmännischen Verein der Schweiz darbringen. Indem der junge Dichter, dem wir diesen Beitrag verdanken, selbst dem Kaufmannsstande angehört, fällt jeder Verdacht weg, als ob gewisse übermütige Stellen, in denen Spott und Ironie ihr Wesen treiben, schlimm gemeint sein könnten.« Damit baut der Redaktor allfälligen Mißverständnissen vor und erhöht zugleich die Aufmerksamkeit beim Publikum. Ob der von 1892 bis 1895 zum Bankangestellten ausgebildete Walser den Beitrag auf Bestellung geschrieben hatte, ist nicht bekannt, er schaffte es jedenfalls auf die Titelseite.
    Der halb als Erzählung, halb als Essay angelegte Text beginnt wie folgt: »Obgleich im Leben eine sehr bekannte Erscheinung, ist der Commis doch noch niemals zum Gegenstand einer schriftlichen Erörterung gemacht worden. Meines Wissens wenigstens nicht. Er ist vielleicht zu alltäglich, zu unschuldig, zu wenig blaß und verdorben, zu wenig interessant, der junge schüchterne Mann mit der Schreibfeder und Rechentafel in der Hand, um den Herrn Dichtern als Stoff zu dienen. Mir indessen dient er gerade.« Eine Einschätzung, die an Herman Melvilles Klassiker der Angestellten-Satire Bartleby, der Schreiber erinnert, dessen Erzähler schon 1853 eine vergleichbare Vermutung hegte: »Während der vergangenen dreißig Jahre hat mich die Art meiner beruflichen Tätigkeit […] mit einem interessant und leicht sonderbar erscheinenden Personenkreis in Berührung gebracht, über den, soweit ich weiß, bisher noch nichts veröffentlicht wurde: ich meine die Anwaltskopisten oder Schreiber.«
    Im 19. Jahrhundert hatten Angestellte, Schreiber, Protokollführer und Beamte in Novellen und Romanen wie Nikolai Gogols Der Mantel (1842), Charles Dickens Klein Dorrit (1855/57), Italo Svevos Ein Leben (1892), Wilhelm Raabes Die Akten des Vogelsangs (1896) oder Lew Tolstojs Auferstehung (1899) durchaus ihren Platz gefunden. Und mit Bartleby, der berühmt wurde, weil er von einem

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